Besuch in Dachau

Vor fast dreißig Jahren war ich zusammen mit meinem Freund Franz Dobler im KZ Dachau. Wir sind mit dem Rad hingefahren, da die KZ-Gedenkstätte nicht weit vom Hof der Schwiegereltern von Franz liegt. Die Sonne schien. Es war warm. Sommer.
In der Gedenkstätte war kein Mensch. Es war irgendein Wochentag. Am Nachmittag. Ich erinnere mich an das Knirschen des Kies, als wir über den riesigen Platz gingen, auf dem die Gefangenenbaracken gestanden hatten. Es war alles sehr sauber. Keine Zigarettenstummel. Keine Papierfetzchen. Kein weggeworfenes Einwickelpapier. Ich habe nie wieder einen solch saubern Kiesplatz gesehen.

Die Baracken waren nicht mehr da. Wenn ich mich richtig erinnere, hatte man ihre Umrisse mit Steinen nachgelegt. Kies und diese Steine. Es gab auch eine Menge Stacheldraht und sonstigen Draht. Wachtürme, die sehr neu aussahen, frisch gestrichen. Ordentliche Ziegel. Ich erinnere mich an den Bunkerbau, den Keller, wo sich Zellen befanden. Man konnte die Eisengitter anfassen. Es waren diesselben Eisenstäbe, um die auch die Unglücklichen ihre Finger gelegt hatten. Die Beklemmung, die da in mir aufstieg, war vermutlich diesselbe, die ich auchauf einem Besuch in Alcatraz empfunden hätte. Ich hatte etwas besonderes erwartet. Eine besondere Ergriffenheit. Abscheu. Trauer. Wut. Ich wollte etwas besonderes empfinden, aber ich empfand es nicht.
Später dachte ich, es wäre vielleicht besser gewesen, man hätte die Dächer der Wachtürme nicht neu eingedeckt, und die Wände nicht verputzt und frisch gestrichen. Und man hätte die Baracken nicht abgerissen, sondern sie einfach, so wie sie waren stehen und verfallen lassen. Aber das hätte einfach nicht ordentlich ausgesehen, oder? So, wie es jetzt war, war es beinahe nichts, und der Platz mit seinem hell in der Sonne schimmernden Kies sah aus wie ein riesiger, japanischer Zengarten.
Mein Freund weinte. Ich nicht.
Das ist vielleicht das Problem mit diesen Gedenkstätten: Man sieht etwas. Aber es ist nichts besonderes. Es ist ein wenig so, wie wenn man eine alte Burg besucht und in das Verließ starrt, das für die Touristen frisch ausgemalt wurde. Die Sonne scheint und es ist still, bis auf die Vögel und die Autos die irgendwo herumfahren. Man liest die Inschriften und sieht sich Fotos an. Eine leichte Sommerbrise.

Was die Imagination da zu leisten hat, um auch nur einen Hauch des Gräuels nachzuempfinden, ist vielleicht einfach nicht leistbar. War es in diesem Fall auch für mich nicht. Und ist es schon gar nicht für jene, die Panik kriegen, wenn der Akku des Phones nur noch bei 25 % ist.
Reicht dann halt gerade noch für ein paar Selfies.
Das ist nicht nur deren Schuld…