Brüllen und nölen

Ich wollt’s wieder mal wissen. Gucken, ob die Worte von Harald Schmidt nicht doch übertrieben waren: „… Von der Qualität amerikanischer Serien sind wir in Deutschland Lichtjahre entfernt, ich wiederhole: Lichtjahre – aufgrund der Autoren und der Schauspieler die sowas auch spielen können.”

Und schon die ersten Bilder, das Set-up von „Skylines“ macht was her. Motorräder, die über eine Brücke brausen. Ein bisschen Easy Rider darf schon sein, vor der nächtlichen Skyline von Frankerlin. Perfekt. Aseptisch.

Dann die ersten Szenen. Clubszene. Gepflegt abgefuckt. Im Vordergrund die üblichen Brutalo-Hackfressen von Mitmenschen mit Hintergrund. Und dann geht’s auch schon germanmäßig los: Einer brüllt, einer nölt und einer hört es sich nicht an.

Da waren wir schon mitten drin im deutschen Theater, im deutschen Film: Brüllen und nölen.

Und schon wieder hat man genug.
Aber nächste Woche gibt’s die dritte Staffel von „Goliath“.

Annette „la Corragiosa» Lorenz (1968 – 2019)

Ich glaube es war 2010 oder 2011, als ich eine Anfrage erhielt, ob der Songdog Verlag Interesse hätte, „The Brave“ von Gregory McDonald zu veröffentlichen. Das Mail kam aus Leipzig, von einer Bibliothekarin namens Annette Lorenz, die den Roman ins Deutsche übersetzt hatte. Ich kannte weder den Roman, noch den Autor, noch die Übersetzerin.

Aber der Roman war bereits in einige Sprachen übersetzt worden, und Johnny Depp hatte mit der Verfilmung Anfang der 90er sein Regie-Debut in Cannes gegeben. Mit ihm selbst, und Marlon Brando in den Hauptrollen. Musik: Iggy Pop.

Der Roman war nur etwas für starke Nerven, ging es doch um ein Snuff-Video, bei dem ein alkoholkranker Indianer sich für 30 Tausend Dollar zum Wohle seiner jungen Familie zu Tode quälen lassen wollte.

Annette Lorenz, die Übersetzerin, hatte den Roman einigen Verlagen angeboten. Kein Interesse. Aber ich wollte ihn machen. Und es gelang. Es war irre genug, dass ein Pimperl-Verlag wie Songdog ohne jedes Kapital die Rechte erhielt, und da Annette Lorenz, wie sie betonte, kein finanzielles Interesse hatte, und dann auch noch der Lektor Markus Schütz helfend eingriff, erschien 2013 der Roman. Es wurde ein toller Roman,und wie erwartet, ein Flop. Nur bei Amazon kletterte der Preis für den Depp Film.
So ist das, in diesem Business. Aber was solls? Es war ein tolles Abenteuer.

Annette Lorenz blieb dem Verlag verbunden. Uns verband auch eine gemeinsame Liebe zur Beat-Literatur, vor allem zu Jack Kerouac, über den wir uns hin und wieder austauschten. Auch ihr letztes Projekt, mit dem sie sich bei mir meldete, war eine Erzählung von Kerouac. Und zwar auf französisch. Sie hatte sie irgendwo entdeckt, und sich ans Übersetzen gemacht.

Ich fand es bemerkenswert, wie genau sie den Ton von Kerouac zu treffen wusste, dieser ihm eigene Ton, kraftvoll und doch druchdrungen von Melancholie, die man noch bei Hemingway und Fauser finden kann.
Wir wollten das Buch natürlich machen, da die anderen angefragten Verlage abgewinkt hatten.
Aber es kam nicht mehr so weit.

Annette Lorenz und ich haben uns zweimal getroffen. Einmal, wenn ich mich recht erinnere, in Augsburg und das andere Mal in St. Gallen, auf Einladung von Florian Vetsch zur „The Brave-Lesung“ im Kultbau St. Gallen. Sie kam extra aus Leipzig, und wollte nicht mal die Gage annehmen.

Vor einigen Tagen erreichte mich die Nachricht, dass Annette Lorenz an Krebs gestorben ist.

Immer noch

Ich lese immer noch Wolfgang Pohrt. Und ich kann noch immer nicht verstehen, warum nicht alle es tun.

(Aber vielleicht tun es ja alle, und ich weiß nur nichts davon)

Wolfgang Pohrt  / Sämtlich Werke
Herausgegeben von Klaus Bittermann  in der Ed. Tiamat

Pohrt, Wolfgang