LESUNG am 2. Dez. „Alte Schmiede»

  1. Textvorstellungen • Motto: Land/Sounds: LYDIA HAIDER, ANDREAS NIEDERMANN und MANFRED MIXNER

Reihe Textvorstellungen • Motto: Land/Sounds – Lesungen, Textdiskussion • Redaktion und Moderation: ANGELIKA REITZER

LYDIA HAIDER (Wien) Kongregation (Müry Salzmann, 2015)
• ANDREAS NIEDERMANN (Wien) Country. Fünfzehn Stories (Songdog Verlag, 2015)
• MANFRED MIXNER (Schweden) Tote Musik und andere Erzählungen (edition keiper, 2015)

In Lydia Haiders Debütroman bilden die jungen Andersdenkenden im Dorf ebenjene »Kongregation«, ein kollektives Wir, das das Geschehen mit biblisch-homerischer Wucht berichtet, es mit den Alten und deren Schuld aufnimmt.
Andreas Niedermanns Storys mit Themen wie aus Countrysongs spielen vor allem am Land und sind mit jeder Menge Tiere bevölkert.
Die Figuren in Manfred Mixners Erzählungen entstammen der Einsamkeit des südschwedischen Waldes, ihre Landschaften und Geschichten im Schlepptau.

(Angelika Reitzer)
Lydia Haider, *1985 in Steyr, lebt in Wien. Studium der Germanistik und Philosophie, promoviert zum Rhythmus als Subversion in Texten Thomas Bernhards und Ernst Jandls.
Andreas Niedermann, *1956 in Basel, lebt als Schriftsteller und Verleger in Wien. Publikationen (Romane, Storys, Berichte): Verflucht schön (2005); Sauser (2007); Die Katzen von Kapsali (2010); Goldene Tage (2012); Von Viktor zu Hartmann. Wege – Hanteln – Worte (2014).
Manfred Mixner, *1947 in Graz, lebt in Südschweden. Langjähriger Abteilungsleiter für Literatur und Hörspiel im ORF Graz sowie für Ö1-Radioliteratur und beim Sender Freies Berlin; Lehrtätigkeiten. Seit 2012 literarische Publikationen, zuletzt Reise nach Abydos. Roman (2014).

Oides Weanablut


  • – Darf ich Ihnen behilflich sein?
  • – Wie bitte?
  • – Darf ich  Ihnen behilflich sein. Da, mit Ihrem Koffer.
  • – Mit meinem Koffer? Was ist mit ihm?
  • – Ich denke, er steht im Weg.
  • – Im Weg? Hier gibt’s keinen Weg.
  • – Im Flur.
  • – Sie meinem im Gang.
  • – Ja, im Gang. Die anderen Passagiere kommen nicht daran vorbei. Ich kann Ihnen den Koffer in die Gepäckablage hieven.
  • – Sind Sie Hafenarbeiter?
  • – Nein. Warum?
  • – Weil Sie hieven sagten. Hieven kommt aus der Seemannssprache.
  • – Kann sein, aber das ist inzwischen allgemeiner Sprachgebrauch.
  • – Was wissen Sie vom allgemeinen Sprachgebrauch? Sie sind ja noch beinahe ein Kind.
  • – Ich muss schon bitten, gnädige Frau. Ich bin 32.
  • – Sie sind 32 und sagen „Gnädige Frau“?
  • – Warum nicht?
  • – Was, warum nicht?
  • – Warum sollte ein 32-jähriger nicht gnädige Frau sagen?
  • – Nun, weil ein 32-jähriger gar nicht wissen kann, was eine „gnädige Frau“ ist. Es gibt keine gnädigen Frauen mehr. Die letzte gnädige Frau war Kaiserin Marie-Therisia.
  • – Die war doch wohl eher „Eure Majestät“.
  • – Für mich nicht.
  • – Haben Sie sie gekannt?
  • – Jetzt werden Sie aber unverschämt, junger Mann.
  • – Tut mir leid, war nicht so gemeint. Ich kann Kaiserin Marie-Theresia keinem Zeitraum zurechnen.
  • – Warum nicht? Sowas lernt man doch in der Schule.
  • – Nicht in meiner Schule.
  • – Selbst in der Sonderschule wird das gelehrt.
  • – Jetzt gehen Sie zu weit.
  • – Nun, wie ein Doktor sehen Sie nicht gerade aus.
  • – Wie sieht denn ein Doktor aus?
  • – Mehr so, wie dieser Herr da, der im Gang steht, obschon es doch genügend  freie Sitzplätze gibt.
  • – Er steht, weil er nicht an ihrem Koffer vorbeikommt.
  • – Ach was. SIE stehen ihm doch im Weg.
  • – Sie meinem im Gang.
  • – Man kann auch im Gang im Weg stehen…
  • – … aber nicht im Weg im Gang stehen, ich weiß.
  • – Halt, halt nicht so hurtig, junger Mann: Wenn der Herr Doktor auf dem Weg zu seinem Platz wäre, stünde er jetzt sehr wohl auf dem Weg im Gang…
  • – Gnädige Frau, Sie besitzen einen bemerkenswert bösartigen Wiener Intellekt…
  • – Schmeicheln Sie mir nicht, lassen Sie endlich ihre Muskeln spielen.
  • – Wie?
  • – Hinauf mit dem Koffer. Der Herr Doktor möchte passieren und Sie als Sonderschüler sind wohl eher prädestiniert Muskelarbeit zu verrichten.
  • – Ich wünsche Ihnen eine halbwegs angenehme Reise, Eure Majestät…
  • – Ja, gehn Sie nur, gehn Sie. Sie unfreundlicher Geselle, Sie…
    Und was sagen Sie zu der heutigen Jugend, Herr Doktor?

Lest!

Heute hat unsere Spy-Redaktion einen verdammt guten Text vom Kollegen Friedrich Ani aufgespürt, ein ziemlich bestes Stück Prosa über seinen syrischen Vater, und wie es damals war, in Bayern aufzuwachsen.
Wer lesen kann, möge lesen:

http://www.zeit.de/freitext/2015/11/20/syrer-vater-fluechtlinge-ani/

Das Sprüchemuseum (70)

„Neos räumen Fehler wegen Massen-SMS ein.»

DerStandard

Wir sagen: Man glaubt, sich verlesen zu haben. Sollte es in diesem Land tatsächlich eine Partei geben, die zugibt fehlbar zu sein? Sind wir denn überhaupt noch in Österreich? Sind die „Neos“ von ausländischen Agenten unterwandert? Wir wissen es nicht. Aber doch: Zaghaft aufkeimende Hoffnung. Sehr zaghaft.

Wer hat Schuld?

„Ich hab ja nix dagegen, dass Ausländer sich hier ein Spiel anschauen … aber … muss der Piefke denn Schiri sein?“, sagte in der U-Bahn ein 13-jähriger Wiener nach dem verlorenen Spiel Österreich gegen die Schweiz.

Um das Wort eines englischen Journalisten zu präzisieren:

«Rugby ist ein Spiel für Hooligans, das von Gentlemen gespielt wird. Fußball ist ein Spiel für Gentlemen, das von chauvinistischen Weichbirnen kommentiert wird.»

Anfangssätze. Buchpreiswürdig.

„Wenn man plötzlich nach seiner ersten Liebe googelt, ist das eine Reaktion auf die Klopfgeräusche, die man vor dem Einschlafen und, noch kräftiger, beim morgendlichen Blick in den Spiegel, beim Anblick der tiefen , senkrechten Falte zwischen den Augenbrauen, vernommen hat. Vergeblich hat man das Klopfen zu orten versucht, hat es immerfort abwechselnd außen und innen vermutet – auf dem Dachboden/ unter der Schädeldecke –, aber niemals zu fassen bekommen.»

Monique Schwitter, „Eins im Anderen»

Für sowas, werte Lesende, gibt es in der Schweiz den Buchpreis.
Wir hoffen jetzt mal, dass die Autorin inzwischen das Klopfen zu fassen bekommen hat.

Einstimmung…

auf die „Buch Wien“
«Schriftstellerinnen und Schriftsteller über das Lesen: Heilmittel für alle schlechten Tage.»

das ist die Schlagzeile im „Standard“.

Und dann folgten die üblichen Verdächtiginnen und Verdächtige, die Werbung für ihre Bücher machen durften.

Nun gut. Was sein muss, muss sein.

Nur: Was hat Lesen mit Buchmessen zu tun?

Das neue Niedertrachts-Wohlfühl-TeVau

Das Set-up der Serie  „Altes Geld“ lässt keinen Zweifel aufkommen. Hier ist jeder, und jedin, ein gieriges, niederträchtiges Scheusal (um diesem schönen Wort wieder mal die Ehre zu geben), da weiß der geneigte Zuseher sofort: Hier hat er nichts an Charakterentwicklung zu erwarten, hier ist alles bereits so, wie es bis in die 8. Folge, dem Schluss, auch sein wird.

Die Einstiegstiegsluke in die Katakomben des Schalkoschen Niedertrachtstevau, öffnet sich dort, wo „Breaking Bad“ am Schluss wieder auftauchte. Nachdem alle entweder korrumpiert oder tot waren.

Der begabte Sprücheschreiber und geniale Wuchteldrucker Schalko macht das, was ihm keiner nachmacht: Er führt uns in eine Welt, die noch schlimmer ist als die, die wir kennen; zu Menschen, die noch schlechter sind, als wir selber. Und das alles in Seidleskem Tableaustil. Klar, das tut der postdemokratischen Seele gut. Das tut wohl. Das gefällt.
Jedes Wort ein Schuss, jede Dialogzeile eine Salve, jedes Gespräch ein Massenmord.
So ist die Welt. So san die Menschen. Sacht Schalko. Das ist ein bisschen lustig und auch ziemlich langweilig, und natürlich ist es Bullshit, und nichts anderes als die dunkel patinierte Rückseite der Rosamunde Pilcher Histörchen.

Aber des moocht nix. Die Fankurve jubelt. Die Redakteurin kriecht einen Preis.

Und ohne dass ich mir die restlichen 6 Folgen ansehen werde – die ersten 2 sind doch genug  – so gehe ich so ziemlich jede Wette ein, dass sich das ereignen wird, was sich schon in „Der Aufschneider“ und „Braunschlag“ ereignet hat. Denn es kann sich gar nichts anderes zutragen. Keine Entwicklung der Charaktere, nur einfach more of the same, alles wie immer, nur mehr und schlimmer oder wie ich bereits bei „Der Aufschneider“ unter „Der Schluss aller Schlüsse“ schrieb:

… ein gemütliches Geösterreichere hob an, jeder hat schon mal jeden gefickt, hintergangen, betrogen, belogen, geschlagen, ausgebootet, verraten, mies gemacht, in den Arsch getreten, gelinkt, bedroht, bedrängt, geküsst, schwanzgelutscht, angeschwärzt, verlassen, wieder versöhnt und angeschrieen …

und dann das absolute Finale:

… während sich … die gesamte Sippe am Lieblingsmöbel der Nation, dem “Runden Tisch”, in der gemütlichen Hölle versammelt hat. Alle. Die Linker und die Gelinkten, die Ficker und die Gefickten, die Betrüger und die Betrogenen, auch diejenigen, die vor Sekunden noch abgrundtiefer Hass trennte; alle die sind jetzt vereint am “Runden Tisch”, und der Zuschauer weiß: Jetzt ist alles gut, jetzt ist Österreich!

Wetten?
Na gut, der Tisch ist diesmal vielleicht nicht rund.