Ortsliebe

Nein, sagte ich, ich lebe nicht gerne hier, aber schon ziemlich lange. Das gefiel ihr gar nicht. Sie war beleidigt. Wo ich denn gerne leben würde, fragte sie, und ich antwortete, vermutlich nirgendwo – auf Dauer.
Aber das reichte ihr nicht. Sie hielt mich für einen Deutschen und von so einem war man es gewohnt, ja, man erwartete einfach, dass er sehr, sehr gern in Wien lebte. Ein Deutscher hatte gleichsam die Pflicht, liebend gerne hier zu leben.
Wieso ich denn an einem Ort lebe, wo ich nicht gerne lebe, fragte sie, und ich antwortete, dass ich keinen Grund sähe, gerne an dem Ort zu leben, an dem ich lebe.
Das war zuviel, das schockierte sie. Sie wurde sauer. Sie stand auf.
Ich finde, sagte sie, man sollte nur an einem Ort leben, den man liebt.
Ganz im Gegenteil, sagte ich.
Aber da war sie schon weg.
Glück gehabt. Denn wer’s nicht auf Anhieb versteht, versteht es nie.

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