Zum Tod von Florian Flicker

Florian Flicker war 1999, für ein halbes Jahr, mein Dramaturg an der Drehbuchakademie Wien. Er nahm die Sache zumindest so ernst, wie ich auch. Es war mein Projekt, mein Ding und ganz bestimmt nicht – auf den Inhalt bezogen – seines. Aber das spielte keine Rolle. Er war gewissenhaft, hilfsbereit und hartnäckig und stieß mich oft in die richtige Richtung.
Wir kannten uns schon lange, ohne wirklich befreundet zu sein. Seit 1991. Er schrieb damals an seinem ersten abendfüllenden Spielfilm «Halbe Welt» und wir trafen uns ein paar Mal, wälzten Ideen und ich schrieb ein bisschen am Drehbuch mit. Dass er dann meinen Namen zu den Co-Autoren setzte, war nicht verdient, aber so war er eben: Sehr fair, sehr korrekt, sehr freundlich.

Wenn wir uns mal sahen, war es zufällig. So wie 2004, im Kino, wo wir uns «Hans im Glück» meines Freundes Peter Liechti ansahen. Es stand an diesem Abend noch ein weiterer Film auf dem Programm, aber Florian sagte: «Der war so gut, dass ich mir jetzt einen zweiten nicht mehr ansehen will.»
Der Schweizer Filmemacher Peter Liechti stab dieses Jahr. Am 4. April. 62-jährig. An Krebs.

Das letzte Mal trafen wir uns im Radiofunkhaus in der Argentinierstraße, bei der Carl Weissner-Lesung. Das war 2010. Wir standen an der Bar im Funkhauscafé, tranken Bier und redeten.
Es war etwas Scheues in seiner Art, etwas, das einen zur Mäßigung mahnte. Er glich darin der Protagonistin in seinem Film  «Suzie Washington»: verletzlich, scheu und zum Äußersten entschlossen.

Dass es für ihn, den ausgezeichneten Regisseur, 12 Jahre lang nicht möglich war, einen Spielfilm finanziert zu bekommen, darüber mag sich nur wundern, wer sich mit der hiesigen Filmpolitik nicht auskennt.
Aber er stand diese Zeit durch, sah sich am Theater um, schrieb Reportagen und machte Dokus.

Vor einiger Zeit erfuhr ich durch Zufall, dass er krank geworden war.
Gestern nachmittag ist er gestorben. Zwei Tage nach seinem 49. Geburtstag. An Krebs.

Das ist das einzige, was er nicht hätte tun sollen.
Bye, Flo.

«Bring out the Rum» von C. Weissner – A. Böger

Die Kollegen vom «kollaboratör» haben sich einer ziemlich interessanten Sache angenommen und den Mail-Verkehr von Carl Weissner und Anna Böger, als wahnsinnig günstiges Buchprojekt rausgetan.
Herausgegeben von Songdog-Autor Florian Vetsch.
Here ist comes:

Carl Weissner / Anna Böger:
«Bring out the Rum».
E-Mails.

Paperback, 96 Seiten.
ISBN 978-3-9523942-3-6
CHF 7.- / EUR 5.-

Bestellen: derkollaborator@gmail.com

Herausgegeben & eingeleitet von Florian Vetsch. Mit einem Nachwort von Jürgen Ploog.

«Über Internetliteratur wurde viel geredet, hier passierte sie. Nicht als prätentiös vernetztes Projekt, sondern spontan & mitten im hektischen Geschehen zwischen Milchshakes & Pommes als tägliche E-Mail-Berichte. Form fand Inhalt und umgekehrt. Nachträglich & vom Ergebnis her gesehen ein Geniestreich.» Jürgen Ploog


Fremdes Terrain

Neulich saß ich mit einem Dirigenten zusammen und redete mit ihm über den Sänger Jonas Kaufmann. Das heißt, der Dirigent plauderte aus dem Nähkästchen und ich stellte ein paar Fragen, damit es nicht zu langweilig wurde.
In der normalen Welt bin ich als Opernliebhaber – und Kenner etwa so bekannt wie der Winnetou-Mörder Santers – als Aquarellmaler. Nun, aus irgendeinem Grund weiß ich wer Jonas Kaufmann ist und ich weiß ein wenig über seine Bio Bescheid. So etwas setzt ein Dirigent einfach mal voraus.
Wenn ich von Willi Nelsons neuer Platte geredet hätte, wäre dem Mann das Gespräch schon auf den Zeiger gegangen nachdem er erfahren hätte das Willi Nelson Amerikaner ist. Sagen wir es so: In seiner Welt sind Amerikaner einfach extrem scheiße, und Country ist nur der stumpfsinnige Ausdruck ihrer verlutschten Kultur, die uns zwar von den Nazis befreit hat, aber wo man immer noch nicht weiß, ob das wirklich so gut war.

Aber ich weiß, wer Jonas Kaufmann ist.
So geht’s mir andauernd. Und nicht nur mir. Sondern auch anderen Generalisten, deren Bücher, Musik, die Kunst und das Leben gnerell nicht so ganz dem Mainstream entsprechen. Wir müssen uns überall auskennen, lernen aber in einem fort MItmenschen kennen, die kaum was mitbekommen. Von gar nichts.

Mein Schreibprogramm heißt Pages. Es ist ein kleines, kaum verwendetes Programm, und es gibt kein besseres, um fremde Dateien zu öffnen. Warum? Die kleinen müssen das können.

Ja. Immer auf fremden Terrain unterwegs. Na ja, nicht immer. Aber meistens.
Und wenn ich/wir mal auf unseresgleichen stoßen und nichts erklären müssen, so fühlt es sich schon an wie Heimat. Nichts erklären müssen. Das ist alles. Mehr nicht.

Pepitas Geburtstag

Pepita, die 16-jährige Türsteherpraktikantin unser kleinen Redaktion, ist nicht mehr – sechzehn. Sie feierte ihren Siebzehner am 16. August, unter Beteiligung der gesamten Red. Bis auf die Lady, die für das Auffüllen der Chrystal Meth-Tellerchen zuständig ist, waren alle anwesend. Wie das kam?
Lady war wieder einmal über die Schnürsenkel ihrer Ex-jugoslawischen Kellnerinnen-Schuhe gestolpert, das Meth war erstaunlich kompakt durch die Luft gewirbelt und in Klümpchen in unserem Aquarium mit der Schnappschildkröte gelandet, die sich sogleich ein paar Portionen reinknackte, schnapp-schnapp-schnapp, und unter den staunenden Augen der glotzenden Redaktion augenblicklich in eine Art Starre fiel, was irgendwie sehr natürlich aussah, aber, wie wir später herausfanden, gar nicht so natürlich war, denn das garstige Vieh vergaß offenbar im Meth-Wahn zu atmen oder hielt sich für eine verdammte Forelle oder sowas, und als wir morgens um halb vier nach Hause (oder in die nächste Bar) schlichen, lag ihr Kopf schon auf dem sandigen Grund. Die Äuglein geschlossen. Sie war tot. Schnappkotz war nicht mehr.

Die Lady war danach einfach nur fertig. Untröstlich. Jedenfalls fehlte sie an Pepitas Geburtstagsparty, was irgendwie Scheiße war, denn jetzt war auch das Meth nicht da, aber unser Red.-Oldie hatte ein paar Flaschen Rye-Whisky mitgebracht und verkündete: «Happy birthday, Pepita! Ein Hoch auf unsere Prinzessin der Tür, die am selben Tag Geburtstag hat wie der große Charles Bukowski, der heute 94 geworden wäre!»
«Ist das nicht der alte Mann der aussah wie Schnappkotz und so lustige Geschichten über Pferderennen schrieb?», sagte Pepita und kippte ein großes Glas Bulleit 95 Rye, worauf unser Oldie aufjaulte und euphorisiert brüllte: «Das ist sie! Das ist sie! Die Reinkarnation von C.B.! … Werft euch zu Boden, Unwürdige, und küsst den Saum ihres … äh … ihres … Dingsbums. Ihr wisst schon …»

Dann wurden alle wieder ernst und die Gespräche drehten sich um die Weltlage und so. «Also, ich fand diesen Sommer echt mega», (sie war in der Schweiz gewesen. Darum «mega») sagte Pepita, und unser Oldie sprang auf, umarmte sie, schenkte ihr Glas voll und sagte: «Baby, magst du es auch so gerne unheiß und abgehitzt wie ich?»
Da lächelte das Geburtagskind wie eine echte verdammte Prinzessin der Tür und flötete: » Oh ja.»
Das fanden alle anderen Scheiße, denn die standen mehr auf «gelbe Sau, all day long», aber es war schließlich Pepitas und C. B’s. Geburtstag, da konnte man schon mal was runterschlucken. Nicht wahr?

Farewell, Mickey

Nein, Mickey Rourke, niemand will dir vorschreiben, was du zu tragen hast, auch ich nicht; zieh dir dein Putin-T-Shirt ruhig an und genieß das Menschenrecht auf Ignoranz und Borniertheit, und pack gleich noch ein Gros von den Shirts ein und nimm es mit nach Hollywood, da laufen sicher noch eine Menge Kollegen herum, die sich bestimmt in der postpubertären Rebellenpose gefallen, wenn die Visage eines faschistoiden Unterdrückers und Despoten ihre frisch renovierten und abgesaugten Bäuche pimpt.

Man hats ja schon bei deinem  Kollegen Depardieu vermutet: Die Intelligenz eines Schauspielers korreliert nicht immer mit seiner Beliebtheit, aber mach dir nichts draus, Mick, es gibt auch deutsche Intellektuelle die mit dir locker mithalten können und die gerade eine Petition verfasst haben, auf dass Israel die Raketen der Hamas, ohne Gegenwehr, einstecken möge. Darunter die bereits etwas verhuschte Grimasse des Punks, Nina Hagen. Aber die dürfen das, claro, das ist ihr gutes Recht in einem demokratischen Staat.

Also. Ruhig Blut, MIckey.
Ich mache aber auch von meinem Recht Gebrauch, niemals wieder, und ich meine damit -niemals wieder- einen Film mit dir anzusehen. Und auch nicht mit dem Kollegen Depardieu.

Nicht, dass dich das kratzen würde, lieber Mickey, aber nicht doch, nein. Denn jetzt hast du viele, viele neue finanzstarke Fans gewonnen. Und die sehen dir gerne zu, wie du ein paar Amis um die Ecke bringst …

«Saiten» – Nachklang

BIslang galt das Diktum des amerikanischen Autors Gore Vidal: «Auf Partys (Feste) geht man nur wegen Sex oder business.»
Seit letzten Samstag ist das bonmot überholt. Man geht auch auf Feste, wenn das Ostschweizer Kulturmagazin «Saiten» (und die Grabenhalle) Geburtstag feiert. Diesmal war es der zwanzigste (für die Grabenhalle gar der dreißigste.)
Solche Anlässe sind ja eigentlich zum Fürchten. 30 Jahre Grabenhalle? Ich war bereits bei der Gründung zu alt, um jung zu sterben. Von «Saiten» ganz zu schweigen.

Wer das Magazin «Saiten» nicht kennt, der möge es ruhig mal damit versuchen, schon aus dem Grund, weil sich die Macher seit Jahren erfolgreich um Unabhängigkeit bemühen. Der Veranstaltungskalender ergibt – zusammengerollt – ein waffenscheinpflichtiges Totschlaginstrument. Soviel ist in dieser Ecke des Schweizerlandes los.

Für mich, ehrlich gesagt, zuviel. Aber das ist heute das Ding mit der «Kultur»:  Sie ist der Konsum der Konsumkritischen. Der letzte gefühlte Freiraum in der Enge der Kleinstadt, wo das Wilde und Zufällige, das Böse, das Aufregende, das Andere und das Unverständliche nur noch in der «Kultur» erfahren werden darf.
Und wer heute «Hopp, Kultur» brüllt, der ruft eigentlich nach weniger «Kultur», nach jenen Dingen, die eben nicht zu konsumieren sind. Aber dieser Widerspruch existiert seit den 80-er Jahren. Oder vielleicht schon immer.

Trotz allem. Ein würdiges Fest, so schien es mir, dem fünfsiebtel Misanthropen.

Nach zwanzig Jahren gehört man dazu. «Saiten» zu St. Gallen. St. Gallen zu «Saiten».
Sie sind nicht eins geworden, nicht verschmolzen – im Gegenteil: «Saiten» ist der «Wiener Falter» der Ostschweiz: Unverzichtbar. Mit kritischen Blick auf das Tun und Treiben der Machtvollen und mit Verständnis für die Belange der weniger Machtvollen.

Als ich St. Gallen, nach zwei Jahren Wirken, Trinken und Werken, verließ, gab es «Saiten» noch nicht.

St. Gallen, das muss ich inzwischen sagen, ist einfach super: Ich komme gerne her und fahre gerne wieder weg. Das nennt man im dummen Neusprech wohl eine win-win-Situation.

Jedenfalls, ich lese täglich «Saiten».
Und dabei bleibt es auch weiterhin.

http://www.saiten.ch

Gicht

Warum bin ich da noch nicht selber drauf gekommen, dachte ich heute, als ich das Inhaltsverzeichnis des Storybands «Siesta» von Hans Herbst studierte. Seite 178: Gicht.
Eine Story über Gicht. Endlich hat sich mal ein erfahrener, ernstzunehmender Autor des Themas angenommen. Schnell blätterte ich – und las. Enttäuscht. Denn nicht der Held – Krebs- hatte Gicht, sondern ein alternder Congaspieler, und Krebs – ebenfalls Congaspieler – stellte sich nur vor, an der Stelle des Alten zu sein. Mit diesen Gichtgriffeln und so.

Aber im Ernst: Die Schilderung des Gichtbefalls ähnelte doch zu sehr dem einer Arthritis oder Arthrose und verriet, dass der Autor vielleicht doch nicht so gut über Gicht Bescheid weiß. Nicht so gut wie ich, jedenfalls. Leider. Ein lächerliches Scheißleiden. Man weiß nie, wann es einen erwischt. Ein paar Scheiben Salami und schwuppdiwupp der Podagra, das Gelenk des großen Zehs schwillt an, brüllt vor Hitze, dir wird schlecht und der Schmerz, meine Lieben, der hat es in sich. Und Schuhe kannste vergessen. Und Gehen. Wenn du Glück hast, haste noch ein paar Diclos, die du einwerfen kannst, sonst geht’s zum Onkel Doktor.

Aber das war leider nicht das Thema von Hans Herbst Gichtstory. Sein Krebs guckt sich den Alten an, leidet ein bisschen mit ihm, schmeißt ein paar Gläser durch die Bar, verschwindet in einem Hotellift, wo er es mit dem wunderbar weißen Hinterteil einer Lady zu tun bekommt.
Alles wird gut. Oder so. Der Alte mit seiner Gicht ist natürlich vergessen, der hatte seinen Auftritt im Set-up, und das wars dann für ihn. Und für mich auch. Gicht, sollte die Story nicht heißen.
Aber das lässt das Thema zumindets noch für mich offen.
Mal sehen …