P.P.P. reloaded

Am Weihnachtsabend 81, während der «Zürcher Jugendunruhen», so gegen 23h30, feuerten ein Freund und ich eine billige, kleine Rakete auf das «Autonome Jugenzentrum, AJZ», das zu diesem Zeitpunkt voller Bullen war, die es gerade geräumt hatten.
Minuten später wurden wir von einer Hundestaffel umzingelt und man «bat» uns mitzukommen. Nun waren wir im «AJZ», inmitten junger, grantiger Bullen, die den Weihnachtsabend hinter Schutzschilden und herunter geklappten Helmvisieren feiern durften. Vom «Niederdorf» her vernahm man das Ploppen der Gummischrotspritzen, massig Geschrei, das Knallen von Feuerwerkskörpern und über der Limmat waberten die Tränengasschwaden, während wir zwei Idioten allein mit dem «Feind» waren. Es war ziemlich viel Feind, das Gelände von Stacheldraht umgeben. Keine Chance auf Flucht.

Aus irgendeinem Grund ließen sie meinen Freund gehen, schickten ihn weg. Ich war allein. Man hörte so einiges, was die Bullen mit einem anstellten, wenn sie einen kriegten. Einiges davon war Räuberpistole, einiges nicht.

Es ist ein interessantes Gefühl, jede Kontrolle zu verlieren. Ich konnte nichts tun, und wenn die Bullen es mir zeigen wollten, dann zeigten sie es mir und ich musste es hinnehmen. Das Interessante an so einer Situation ist, dass man schnell die Angst verliert. Gläubige würden sagen, es liegt in Gottes Hand. Ich stellte mich also darauf ein, die Knüppel der Bullen kennen zu lernen. Damit rechnete ich fest. Nun denn.

Dann kam der Kommandant auf mich zu. Er war sauer. Er hasste es, hier zu sein. Und ich war der Grund dafür, dass er nicht bei seiner Familie sein konnte. Er schrie mich an, schiss mich zusammen, aber auf eine Art, die ich kannte. Ich gab zurück, nicht respektlos, aber ohne jede Demut und Angst, und mit einem Mal, als wir einander so gegenüber standen und uns anschrien, geschah etwas.

Mir wurde gerade klar, dass wir aus der derselben Klasse kamen. Wir waren Kleinbürger. Er hatte es zum Kommandanten gebracht, ich war noch unentschieden. Wir waren keine «Feinde». Er war der Kleinbürgerbulle, der den Großbürgern unterstand die von ihm verlangten, dass er die Großbürgerjugend daran hinderte, ihre Geschäfte zu stören. Er sollte sie zur Räson zu bringen.

Gestern dachte ich wieder einmal daran. Bei einer Doku über Pier Paolo Pasolini, der sich 1968 auf die Seite der Bullen gestellt hatte. Gegen die rebellierenden Bürgerkinder. Die Bullen stammten aus der Arbeiterklasse, das war ihm wichtig. Und er hatte den Mut, es auch zu sagen. Damals. Das war nicht nichts.

Ich habe nichts gesagt. Wem auch. Aber das Misstrauen blieb. Dieses kleine Kleinbürgermisstrauen gegen grundsätzlich alles. Auch sich selber. Tja.

Zu sagen wäre noch, dass man mich nach diesem Disput entließ. Keine Knüppel. Gar nichts.

Eine Antwort auf „P.P.P. reloaded“

  1. Es braucht ein wirklich großes Herz, um in diesem Moment diese Einsicht zu kriegen. Überraschend, nichtsdestotrotz…
    Mir ging mal was Vergleichbares bei einer Antifademo durch den Kopf. Großstadtmenschen in einer dieser halbleeren ostdeutschen Kleinstädte. Da dachte ich mir, irgendwie ist es auch schon wieder Klassenkampf, wenn sich Leute aus oftmals gutbürgerlichem Elternhaus mit Uniabschluss über Leute empören, die oftmals arbeitslos sind oder schlechtbezahlte Jobs haben. Was nicht dagegen spricht, sich gegen Nazis zu wenden, bloß das Hirn sollte angeschaltet bleiben –

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