Anfänge

An den diesjährigen Literaturtagen in Solothurn war das Thema «Anfänge», und man konnte nun allenthalben verschiedene Schreibende in verschiedenen Kultursendung hören und sehen, die sich über Romananfänge ausließen. Es war eigentlich immer derselbe Anfang (wie mir kolportiert wurde.). Irgendwas von Kafka.  «Jemand musste… verleumdet haben.»

In Schreibseminaren wird man nicht müde, auf die Wichtigkeit des ersten Satzes, des ersten Abschnitts, der ersten Seite hinzuweisen. Man könnte sagen, dass eigentlich nur der erste Satz wirklich von Bedeutung ist, und der Rest ganz von selber kommt. Genau. Und so liest es sich dann auch.

Als ich (vor vielen, vielen Jahren) Drehbuch lernte, ging es u.a. darum einen narkotischen, verwirrenden Anfang zu gestalten, einen «hook» zu setzen, einer, der den Zuschauer verwirren und beeinflussbar machen sollte. Und seit es hierzulande an jeder Ecke «Creative Writing»-Kurse gibt, weiß nun alle Welt, wie es um den ersten Satz und die filmische Exposition bestellt ist.

Beim Drehbuchlernen haben wir uns Filme angesehen die wahnsinnig-supi-dupi-Anfänge zeigten und denen danach die Luft ausging und die abstanken wie ein Fiakerpferdfurz in einem Tornado. Irgendwie war das dann doch nicht das Wahre. Es musste also noch etwas anderes als Anfänge geben.

Dann wiederum gibt es Bücher von großartigen Autoren, wie Cormac McCarthy oder Denis Johnson, die solche erste Hammerseiten hinlegen, die einen ahnen lassen, dass da keine Steigerung mehr drin ist. Das ist ein bisschen traurig. Aber nur ein bisschen. «All die schönen Pferde» von McCarthy ist so ein Buch.
Die erste Seite ist ein Tableau, ein Archetyp, eine bildhafte Darstellung von Innenwelt und Außenwelt, und diese Bilder wirken wie Ikonen, sind so narkotisch und stark und großartig wie Bilder nur sein können, und es bleibt etwas zurück, das sich wie eingebrannt hat. Ich habe niemals weitergelesen. Aber hin und wieder ziehe ich das Buch aus dem Regal und lese diese Seiten. Verwundert, etwas beschämt und beeindruckt frage ich mich, wie er das nur hingekriegt hat.

Ebenso der 800-Seiten Roman «Ein gerader Rauch» von Denis Johnson. Nur die ersten 10 Seiten. Mir kommen die Tränen, aber weiter geht’s nicht. Muss auch nicht. Dies sind «Anfänge-Bücher». Sie waren es wert geschrieben und von mir gekauft zu werden. Und so wie es Bücher gibt, die ich von hinten zu lesen beginne oder deren Seiten ich im Zufallsprinzip aufschlage und lese, so gibt es diese «Ersten-Seiten-Bücher».

Aber das hat eigentlich nichts mit den Schweizer Literaturtagen in Solothurn zu tun. Ganz und gar nicht.

Abzug

Jetzt, wo es auf dem Golan brenzlig und gefährlich wird, hat Österreich seine UNO-Truppen abgezogen. Alle Parteien, durchs Band, findens Supi.

Versteh ich nicht, diesen Abzug. Hätte man denn nicht zum Schutz der österreichischen Truppen, indonesische, türkische, bangladeshi, polnische, ukrainische oder tunesische UNO-Truppen abstellen können?

Sonst ist denen ja auch nichts zu peinlich…

Zähne

Gestern war ich beim Zahnarzt und überredete ihn, mir jenen Weisheitszahn zu ziehen der unsichtbar zu faulen begonnen hatte. Er wollte zuerst nicht, er wollte ihn «retten». Aber ich wusste Bescheid. Er hätte ihn nicht retten können. Nerv raus. Wurzelbehandlung. Ne, ne!
Der Zahn sah furchtbar aus. Karies. Wie ein braunes Haifischmaul. Und man hatte nichts sehen können. Nur fühlen. Schmerz.

Es ist mir peinlich, dass ein Mann in meinem geöffneten Mund rumfuhrwerkt. Ich mag nicht so daliegen und diese Dinge mit mir geschehen lassen. Es ist demütigend. Es erinnert einen daran, was für eine verdammt mangelhafte Konstruktion der Mensch ist. Die Scheißwirbelsäule, und dann noch dieses empfindliche Kauwerkzeug. Zum Vergessen. Vielleicht sollte man die Zähne abschaffen. Ersetzen durch ein ordentliches Material. Wie dieser riesige Kerl in dem James Bond Film, der Mann mit seinem Stahlgebiss.

Andererseits sind die Zähne umsonst. Und sie halten unglaublich lange. Ich kaue 45 Jahre lang tagtäglich auf irgendwas herum. Sie sind kleiner geworden in dieser langen Zeit. Sie haben sich etwas verformt. Die Eckzähne sind stumpf geworden. Aber sonst? Noch immer sind fast alle drin. Und wenn ich nicht so gelebt hätte, wie gelebt habe und immer wenn der Schmerz kam, einen Zahnarzt aufgesucht hätte, wären es vermutlich noch alle. Bis auf den einen, den er mir gestern gerissen hat.

Also bin ich eigentlich ganz zufrieden mit meinen Zähnen. Aber ich weiß um ihre Vergänglichkeit. Einmal nicht aufgepasst und ordentlich was auf die Fresse gekriegt, und schon sitzt oder liegt man wieder in diesem Sessel und harrt ängstlich der Dinge, die der Mann in Weiß mit einem anstellen wird.

Ich hoffe, ich sehe ihn lange, lange nicht wieder, obschon er sehr nett und aus Ostdeutschland ist.

Nahtoderlebnis

Ein Harvard Professor, las ich, hat einen Bestseller über sein Nahtoderlebnis geschrieben. Das ist toll. Der gefühlte 450ste Bestseller über eine Erfahrung, die schon Hemingway machte, und ein paar tausend andere auch. Das Licht am Ende des Tunnels, sich von außen daliegen sehen, schöne Musik und ein wunderbares Gefühl des Friedens. Es klingt ein wenig danach, als hätte jemand endlich Ö3 ausgeschaltet.

Aber wir wollen nicht ungerecht sein. Dummes Zeug verkauft sich eben gut. So ist das mit Leben! Und unser Gehirn hat eine Menge Tricks auf Lager, um uns zu narren und uns über die Tatsache hinweg zu helfen, dass wir nicht ewig hier auf dem Planeten wandeln.
Und damit wäre auch schon das Problem dieser «Tod-Seher» umrissen: Sie waren nicht tot. Nicht so richtig. Nicht wirklich tot tot, sondern nur fast. Sie waren nominiert, aber haben den Oscar dann doch nicht bekommen. Das ist, auch wenn sich das Buch millionenfach verkauft, und sich Herrscharen analphabetische Sünder Hoffnungen auf ein geiles Jenseits machen, einfach nicht so richtig richtig. Sorry.

Das Buch soll jetzt von Hollywood verfilmt werden.
Das, meine Freunde, ist dann garantiert ein Nahtoderlebnis…

Worte zum Sonntag

Manchmal greife ich ins Bücherregal und ziehe die dicke Lutherbibel heraus und lese darin. Meistens im Kohelet und im Buch Hiob. Das ist die eine Bibel.
Manchmal denke ich über ein Problem nach, meistens auf dem Fahrradergometer im Geisteszentrum, und dann gehe ich nach Hause und ziehe meine «Bibel des Schreibens» heraus. Diese Bibel heißt «Die simple Kunst des Mordes» von Raymond Chandler. Es ist das beste Buch aller Zeiten, sag ich jetzt einfach mal so dahin, und es ist nicht ganz falsch.

Ich habe einem Freund der gerne etwas Fett gegen Muskeln tauschen möchte (also: abnehmen will), geraten, die Waage zu vergessen, ja, das «Gewicht-verlieren» überhaupt und sich stattdessen auf seine Fitness zu konzentrieren. Nicht auf den Kalorienverbrauch zu schielen, sondern auf die Steigerung der Wattanzahl beim Ergometer, nicht auf den «richtigen» Puls, sondern auf die größtmögliche Anstrengung. Intervalltraining. Und ja, bevor ichs vergesse, auch ein wenig auf das Zeug, das man in den hungrigen Wanst stopft. Weniger hochkalorischen Müll, dafür etwas mehr Eiweiß und vitamreiches, mineralstoffhaltiges Zeuch.

Das rate ich aus sehr persönlicher Erfahrung, aber auch als der Fitnesstrainer, der ich einmal war.

Hatte Chandler auch etwas dazu zu sagen? Irgendwie schon. Denn er schrieb über den Stil eines Schriftstellers, dass dieser «eine Projektion seiner Persönlichkeit ist», und dass man sie erst einmal haben muss, bevor man sie projezieren kann. Dann: «Aber selbst, wenn man sie hat, bekommt man sie auch nur dann aufs Papier, wenn die Gedanken auf etwas anderes gerichtet sind.»

Finde ich interessant. Könnte stimmen. Und zwar nicht nur für den Schreibstil. Wer Fett loswerden will, soll sich auf die Steigerung seiner Fitness konzentrieren. Oder wie die Boxer sagen: Man soll nicht den K.O. suchen, sondern seine Arbeit machen, der K.O. kommt dann von selbst.
(So man überhaupt in der Lage ist, den Gegner K.O. zu schlagen. Claro, oder.)