Der Rep bei den Alemannen

Gestern stand ich am Hafen in Lindau und blickte auf die Südseite des Bodensees hinüber, ich blickte auf die Alpen, deren Riegel vom Rhein unterbrochen wurde, in nicht vorstellbarer Kleinstarbeit über die Jahrmillionen, und während ich blickte, begann es zu regnen, so ein bisschen nur, aber die Leute spannten die Schirme auf, ohne richtig zu wissen warum, denn gleich drückte wieder die Sonne durch die Wolken, die aussahen wie das Spiegelbild des Sees: platt und grau wie eine verdreckte Zeitung. Nun wurde es gleich warm und feucht und der See roch wie ein See so riecht, ein bisschen fischig und nach Schlamm auf Steinen, die an der Sonne trocknen. Das war also Lindau. Nett.

Die klugen Alemannen, die sich an diesem See niedergelassen hatten! Nettes Klima, nicht zu kühl, nicht garstig im Winter und im Sommer nicht zu heiß, im Herbst vielleicht etwas neblig, aber eigentlich okay, nicht mal die Berge waren abweisend und hart und hoch, sondern sanft, beinahe lieblich, händchenhaltend, märchenhaft, und der Säntis, der Höchste von ihnen, war nicht annähernd die Eigernordwand und reichte der gerade mal bis zum Bauchnabel. Höchstens.

Da lebten sie also die Alemannen, diese Hilfsgermanen, denen der Sinn nicht nach Abenteuer, Eroberung und pulsierendem Stadtleben stand. Sie waren es zufrieden in diesem milden Klima zu leben, mit den Tulpen auf der Insel Mainau. Nur keine Aufregung. Das war schlecht für Arbeit und Geschäft.

Sie können was, die Alemannen. Beim Arbeiten macht ihnen keiner was vor, und beim Sparen sowieso nicht. Martin Walser lebt sein Lebtag da und schreibt sein Lebtag, diese dicken, verschwatzten Romane. Soll er doch.

Aber ich weiß auch nicht so recht. Bin hier immer etwas ratlos.
Ich komme gerne her, an diesen See, und ich fahre noch lieber wieder weg.
Ich kenne die Menschen die hier leben. Ich kenne sie ziemlich genau, ich verstehe alles was sie sagen, ich bin einer von ihnen. Und irgendwie auch nicht, weil ich es nicht packen würde, hier zu leben.
Ich finde, es gehört zu den schwierigsten Dingen überhaupt, etwas ganz genau zu kennen und es dann immer noch zu mögen. Lieben kann man es, zur Not. Aber mögen? Also ich weiß nicht …