Niedermanns Block

Henk ist nicht auffindbar. Ich denke, die Feiertage waren einfach zu viel für ihn, zu viel für sein aufbrausendes Temperament. Er bewegte sich ziemlich rasant auf das zu, was man früher als Blutsturz bezeichnet hat. Ein Choleriker hat es schwer in diesen Zeiten. Da können die Herren Hessel und Ziegler sagen, was sie wollen.

Henk, so könnte man sagen, ist das Gegenteil eines Wutbürgers. Ich glaube, er empfindet keine Wut, sondern Zorn. Und auch Hass. Wie auch immer: Er ist weg. Und: Recht hat er! Schlimmer als alle Feiertage zusammengenommen, ist Sylvester. In Wien wird man das Gefühl nicht los, dass die Leute nach einem Krieg dürstet. Ganz gleich, was sie auch zu Protokoll geben mögen: In Wahrheit wollen sie töten. Schießen. Niederkartätschen. Sie wollen zusehen, wie es anderen Ohren und Münder zerfetzt, wie Nägel aus Fingern gezogen werden, wie richtiges, lebendiges Blut fließt. Die Innenstadt, der sogenannte Sylvesterpfad, wird zum Kriegsschauplatz. Knallfurzende Demonstrationen betrunkener Niedertracht.

Alle sind sturzbesoffen, werfen mit Böllern, Krachern, Luftheulern und Raketen um sich, und nennen es Party. Aber es steht mir nicht an, zu moralisieren. Sollen sie.

Gestern habe ich den Film «Margin Call» gesehen. Was soll ich sagen? Ich bin heilfroh, dass es noch Menschen gibt, die solch großartigen Dinge hinkriegen. Ich kann ihn nur empfehlen. Kluge Dialoge. Hervorragendes Schauspiel und eine packende Story, die in der Einsicht gipfelt, dass einem zum Schluss doch nichts anderes bleibt, als ein Loch in den Garten zu schaufeln, um den toten Lieblingshund zu begraben. Wozu also die Aufregung?

Auch der Niedergang, mein Lieben, ist ein Abenteuer.