Der gute Mensch von Torri

Es gab mal eine Zeit, da war ich ein guter Mensch. Und es erschien mir leicht, ein guter Mensch zu sein, ich half wo ich konnte, und hatte doch ein schlechtes Gewissen. Vermutlich, weil ich katholisch erzogen worden bin. Wir Kathos machen ja immer etwas falsch. Es sind eine ganze Menge Gebote zu beachten, und wenn man seinen Eltern nicht gehorcht, ehrt man das Alter nicht, und das ist einfach nicht okay, denn es steht geschrieben: Du sollst Vater und Mutter ehren, auf dass es dir im Alter gut ergehe.» Lauter so Sachen.

Als ich noch ein guter Mensch war, kam einmal ein sardischer Schafhirte zu mir, und klagte sein Leid. Es war in der Zeit, als ich in Italien lebte (als Gast von Freunden), und der Schafhirte, der Pietro, der mit seiner Schafherde durch die Gegend zog, hatte aus irgendwelchen Gründen seine Unterkunft, und auch den Unterstand für seine Herde verloren. Eine verworrene Geschichte, die er mir in seinem sardisch gefärbten Italienisch vortrug. Ich gab mir keine Mühe sie zu verstehen, aber ich bot ihm eine ungenutzte, halb verfallene Scheune auf dem Anwesen meines Freundes (der irgendwo unterwegs war) an. Als Übergangslösung.

Pietro war, wie bereits erwähnt, Sarde. Und er stand in meiner Schuld. Und diese Schuld musste ich nun abbüßen. Ich mag keine Schafe. Weder ihre Wolle, den Charakter, nicht ihr Fleisch, nicht zu reden von der Milch und dem Käse, den Pietro daraus herstellte. Zwei, drei Male brachte er mir am Sonntagmorgen Schafsköpfe. Sie schwammen in wäßrigem Blut in zerkratzten Plastikbecken, und ich musste mit dem großen Messer ihre Schädel spalten, das Hirn entnehmen und es mit Salbeiblättern in einem Bierteig wälzen und in Olivenöl herausbacken. Die Kopfhälften kamen mit Olivenöl und Kräutern in den Ofen. Das machte ich, weil ich ein guter Mensch sein wollte. Meine italienischen Freunde aßen gerne Schafsköpfe. Und vor allem das «Cervello», das Hirn.

Und wenn ich Pietro zufällig in der Dorfosteria begegnete, musste ich mich auf seine Kosten betrinken. Aber so richtig. Da kannte er kein Pardon. Und wenn ich andeutete, dass ich vielleicht nach Siena müsste, dann musste ich gleich in sein winziges, nach Schaf duftendes Auto steigen. Wenn ich gesagt hätte, der und der hätten mich schief angeguckt, dann hätte Pietro sein scharfes Messer, mit dem er die Schafe schlachtete, geholt, und den Typen die Kehle durchgeschnitten.

Es war ein bisschen anstrengend. Die Sarden, fand ich heraus, waren in der Toskana nicht wahnsinnig beliebt. Vielleicht ihrer Dankbarkeit wegen, aber vermutlich nicht.

Als er dann mit seiner Herde weiterzog, hörte dieses Schafshirnfrittieren auf, und ich musste auch keinen Schafskäse mehr verschenken.

Das nächste Mal, werde ich bei einem sardischen Weinbauern ein guter Mensch sein.