Bin ich eigentlich korrupt?

Der Begriff «Korruption» ist der österreichische Beitrag zum Unwort des Jahres. Die österreichische Definition von korrupt ist, in Anlehnung an Rimbauds «Ich, ist ein anderer»: «Korrupt ist der andere.»

Früher, vor einigen Jahren, besorgte ich mir am Sonntag die Zeitung aus einem der Dispenser-Plastiksackerl, die allerorten an die Verkehrsschilder geschmiedet waren. Man hatte einen Obulus zu entrichten, und den in einen Kasseschlitz zu stecken. Zuerst warf immer etwas ein, meist Groschen, damit es danach klang, als würde ich zahlen. Man konnte hören, dass die Groschen auf dem Plastikboden noch keine Regimentsstärke besassen, sondern ziemlich einsam waren. Aber es gab kaum noch Zeitungen im Sackerl. Was war da los? Na ja, was wohl?

Ich fühlte mich nicht gut dabei. Ich fand es mickirg, so zu tun als zahlte ich die 9 Schilling, während ich 1 Schilling 40 einwarf, und damit das lästige Kleingeld entsorgte. Ich fühle mich nicht gerne mickrig. Ich beschloss, die Zeitung einfach zu stehlen. Das war entschieden ein mutiger Schritt, zumindest eine ehrliche Handlung. Aber damit machte ich mich gemein mit den Hundeausführern, den rauchenden, in ihren Trainingshosen und Pnatoffeln, oder ihren Kindern, die die «Krone» klauen gehen mussten, während Papi bei Mutti das «Obligatorische» schoss. Das mochte ich gar nicht.

Als nächstes beschloss ich, die Sache von der lockeren Seite her zu betrachten, und sagte zu mir: «Alter, niemand kann verlangen, dass du genau 9 Schilling einstecken hast. Die kriegen einfach, was du gerade in der Tasche hast.»

Das funktionierte anfänglich gut, bis ich bemerkte, dass ich immer mehr darauf sah, dass ich gerade nicht so viele Schillinge in der Tasche hatte, wenn ich am Sonntagmorgen das Haus verließ. Diese Kleinlichkeit, die sich bei mir einzuschleichen drohte, verdross mich. Ich habe ein anderes Selbstbild. Ich bin nicht kleinlich. Nein, Sir, das schon gar nicht.

Als nächstes zahlte ich den vollen Preis, und wusste um die Einzigartigkeit meiner Handlung. Ich sagte es niemandem. Man hätte zwar anerkennend genickt, aber mich für einen Vollkoffer gehalten. «Die anderen zahlen doch auch nicht…»

Dann schliesslich, ließ ich die Zeitungen einfach stecken, und habe seit Jahren keine mehr gezogen. Wenn ich wieder einmal eine brauchen würde, würde ich den vollen Preis abdrücken.

An den meisten Sonntagmorgen bin ich auf dem Weg ins Geisteszentrum, und passiere eine Reihe «Kronen»-Behältnisse. Heute siehst du niemanden mehr, der sich auch nur noch den Anschein gibt, als würde er was in die Kasse stecken. Hingehen, reingreifen, abgehen.

Die Definition von Korruption ist u.a. : Missbrauch einer Vertrauensstellung.

Könnte hinkommen, nicht?