Paradigmenwechsel???

Wer letzte Samstagnacht für einmal das gute Buch, an dem er sich festgelesen hatte, aus der Hand legte und gegen 23 Uhr der Television die Ehre gab – und zwar auf ARD, der erfuhr unglaubliches. Es standen zwei Schwergewichtskämpfe im Boxen auf dem Programm, und der Kenner leckte sich beim Lesen der Namen die Lippen: Ruslan Chagaev versus Alexander «Sascha» Povetkin und als Zugabe Robert Helenius gegen Sarhai Liakhov.

Wer bereits, wie ich, durch die Klitschko-balabala-Maschinierie, diese ins Obszöne aufgeziegelte Prä-und After (ja, genau, dieses After!)-Show-Geschwurbel, dessen Berichterstattung schon gefühlte Monate vorher begann und Wochen später endete – und zwar, bis auch Uschi Glass ihren Kater absorbiert hatte-, schon mürbe war, dem erschien dieser jähe, unangekündigte Boxabend wie der Vorbote eines Paradigma-Wechsels. Denn weder Povetkin noch Chagaev gelten als Blinker und Blender und Freund großer Worte, sondern als Männer, die es vorziehen im Ring die Fäuste sprechen zu lassen. Und seit dem letzten Klitschko-fight (siehe Blog vom 3. Juli: Klitschko versus Haye. Boxen, bye bye), bei dem die Ringluft so schwer verletzt wurde, dass im Hospital über 1000 Löcher vernäht werden mussten, dürfte die Ringluftversicherung offenbar unbezahlbar geworden sein, und man besann sich wieder auf’s richtige Boxen. Es war wie ein Wunder.

Zwei Klassfights, von vier Klasse-Jungs, die einander nichts schenkten, und uns Zuschauer alles.

Einziger Wermutstropfen: Auf 3Sat gab’s zur selben Zeit eine Doku über den Autor Wolfgang Hilbig. Aber das ist der Unterschied zwischen Boxen und Schreiben: Ein Kampf, dessen Ausgang man kennt, verliert an Attraktivität. Beim Buch ist es umgekehrt. Zumindest manchmal.