Der Tunnel

Ich sehe mir täglich die Nachrichten an. Ich glaube, das sollte ich lieber nicht tun. Es ist besser, einfach nur am Schreibtisch zu sitzen und auf den Hinterhof zu blicken, mit dem Fernglas für 9 Franken 90, die Jets zu betrachten, die in geringer Höhe über ihn hinwegstreichen.

Weiter vorne, hinter einer grünen Blätterwand, sehe ich Teile des Supermarktfensters. Im dichter werdenden Geranke der Blätter gibt es noch eine kleine Lücke, und ich kann mit dem Fernglas sehen, was heute die Bananen kosten. 1,29. In den nächsten Tagen wird sich auch diese Lücke schließen, und mir bleiben nur noch die Jets. Das ist schade.

Wenn ich die Nachrichten sehe, denke ich nun oft an meine Mutter, die in den 60-er Jahren, während der Kuba-Krise, als Bob Dylan die Songs nur so in die Tasten flossen, einen Notvorrat anlegte. In zwei Kisten im Keller standen einige Flaschen Öl, Nudeln, Reis, Mehl und andere haltbare Lebensmittel. Sie wachte streng über diesen Notvorrat. Vielleicht führte sie sogar Buch über die Ablaufdaten. Gestern dachte ich daran, auch einen Notvorrat anzulegen, wie die reichen Zocker an der Börse. Schätze, ich bin nicht der einzige, den immer mehr das Gefühl beschleicht, dass niemand eine Idee hat, wie wir aus dem Dilemma rauskommen. Was immer wir auch tun um die Probleme mit Griechenland, den USA, dem nahen Osten, den AKW’s zu lösen, es ist falsch. Und die Politiker, die das erkannt haben, klopfen markige Sprüche, als müssten sie uns wie Entertainer unterhalten. Aber es geht unverändert weiter wie bisher. Es ist wie in der Story von Dürrenmatt «Der Tunnel». Ein Pendlerzug fährt ganz normal durch einen Tunnel. Aber an diesem Tag endet er nicht mehr. Der Zug nimmt Fahrt auf, bis er schließlich mit schwindelerregender Geschwindigkeit irgendetwas entgegen rast. Die Hauptfigur, ein Passagier, kämpft sich durch die in Panik geratenen Menschen zum Lokführer durch. Der erklärt ihm was los ist. Der Passagier fragt: «Was können wir tun?» Der Lokführer sagt: «Nichts.»

Eine schöne und tröstliche Geschichte.

Der Himmel ist so blau wie schon lange nicht mehr. Keine Wolke, nirgends. Selbst die Jets nehmen heute eine andere Route zum Flughafen. Ich höre irgendwo Handwerker rumoren, der Wind schiebt mir den Fensterflügel auf, und ich werde weiter am Roman schreiben.

In einer Schachtel, in der vorher Bücher waren, liegen ein paar Kilo Nudeln…

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