«…Tschoni Kesch…» (unter Katholen)

Ein deutscher Intellektueller hat ein provozierendes Buch geschrieben. Es ist ein Hammer. Es ist kaum zum Aushalten, dieses Buch, mit seinen Thesen. Es bohrt sich richtig rein in den teigigen Arsch des beliebigen Zeitgeistes, in diese indifferente Weicheierquaste, mitten hinein ins ungläubige Herz der analhedonistischen Verblödungshypotoniker, es weicht die letzte Hirnwindung auf, wie ein Schwall Natronlauge die hängengebliebene Nudel in der Spüle, kurz: Er schenkt uns richtig ein.

Mag sich nun der eine oder andere bange fragen: Ja, mit was denn, schenkt er uns ein.

Mit dem Katholizismus. Aber dem richtigen. Dem, vor dem zweiten Konzil. Denn der wortgewaltige Intellektuelle will, dass alles wieder so sein soll, wie es nie war. Lateinische Messe. Zölibat ist geil. Und die Ökumene ist mit einem gichtigen Füßchen bereits im Purgatorium; und wehe den unseligen Protestanten, die ihre Griffel – an denen noch die Gleitcreme des Kondoms klebt -, nach der heiligen Hostie ausstrecken!

Halleluja. Der Papst ist der unfehlbare Chef. Und das ist auch gut so, sagt der Mann. Man sieht ihn in eine Kirche gehen. Er schlägt ein Kreuz über die hervorgewölbte, katholische Plauze. Die Kirche ist leer. Er geht so herum. Man weiß nicht so recht, was er tut.

Dann sehen wir ihn in einem Pfarreiheim. Am Stehpult. Er spricht zur Gemeinde. Man hört wie seine Stimme: «…und Tschoni Kesch…» sagt. Jawoll, Tschoni Kesch. Der Baptist.

Ich bin selber zahlendes Mitglied in diesem Verein. Schon seit meiner Geburt. Und wenn einer im Pfarreiheim «Tschoni Kesch» sagt, dann ist die «Jazzmesse» nicht mehr weit. Dann weiß man einfach, sie kriegen’s doch nicht auf die Reihe.

Katholisch sein, mag vieles heißen, aber eines heißt es ganz bestimmt auch: Heuchelei.

Eine griechische Gottheit: Herbert Fritsch

Vor dreißig Jahren stand ich in einer Basler Theaterbuchhandlung und fragte nach Büchern von Konrad Bayer. Dann geschah ein Wunder.

Ich hatte gerade eine etwas härtere, und lustige Zeit. Ohne feste Bleibe, knopfstier, trieb ich mich in den Straßen der Stadt und auf Bibliotheken herum. Oder in Buchhandlungen. Da gab’s manchmal einen Kaffee. «Die Bücher von Bayer sind alle vergriffen», sagte die freundliche Buchhändlerin, die im Nebenamt die Mutter des schönsten Punkergirls der Stadt war. «Aber», fuhr sie fort, «der Herbert Fritsch ist gerade im Laden und er macht am Stadttheater was über Konrad Bayer.»

Dann trat Herbert Fritsch aus den Buchregalen. Einer griechischen Gottheit gleich. Und er tat, was Götter tun, wenn sie Sterblichen wohlgesonnen waren: Er veränderte mein Leben.

Er lud mich erst, als er von meiner Misere erfuhr, zum Essen ein, dann lieh er mir Geld, und auf seinen Tipp hin, heuerte ich als Techniker beim Theater an. Kurz darauf verschwand er aus der Stadt. Ich habe ihn nie wieder getroffen.

In letzter Zeit hört man oft seinen Namen. Er hat «Erfolg» als Theatermacher. Zwei seiner Stücke waren am Berliner Theatertreffen. Die «Zeit» (Peter Kümmel) widmet ihm diese Woche, fast eine ganze Seite.

Es ist eine wahre Freude. Er ist noch genauso verrückt, großzügig, radikal, gut gelaunt, unkorrumpiert wie damals. Sein Durchblick hat sich über all die Jahre nicht eingetrübt.

Ich weiß, was das heißt. Über all die Jahre. He made my day. Heute, wie damals.

Salut, Herbert.

Die Rache des verschmähten Rindviechs

Also gut. Das Rindvieh hat es satt, dass wir es verschmähen. Seine Rumpsteaks, Entre Cotes, seine Schnitzel, den gespickten Braten, die Haxen, die Kutteln, seinen Ochsenschlepp, die spanischen Nierchen, den Ochsenmaulsalat und die geräuchten Euter, das kann es nmmer leiden: Es kackt uns sein Gift auf die Gurke. «Da hast du’s, abscheulicher Vegi! Dreckskerl, stirb!»

Das macht mir Sorgen.

Meine Kinder wollen selbst den Hasen nur noch mit streng gewaschenem Salat füttern. Aber die Niggels mögen kein Wasser auf ihrem Fraß. Muss ich ihn wohl spachteln. Den Salat. Vielleicht sollte ich lieber das Niggel in die Pfanne hauen. Aber das wäre den Kindern nicht recht, und mir irgendwie auch nicht.

Es musste ja mal so kommen. Es konnte nicht sein, dass nur die Carnivoren unter uns alle zwei Monate ihren Skandal bekamen; den gammelfleischenen, den rinderwahnsinnigen und wie sie alle heißen. Jetzt hat es uns Vegis ereilt. Und zwar gleich richtig. Während man bei den Carnivorischen den Unterschied von vorher zur Jakob Kreutzfeld kaum bemerrkte, so rafft uns EHEC gleich vom Angesicht der Weidegründe.

Das find ich, ehrlich gesagt, Scheiße.

«Ausgemistet» von Florian Günther

Florian Günther präsentiert sein neues Buch «Ausgemistet».

Mit von der Partie am 27. Mai sind der Verleger Peter Engstler und der Schriftsteller und Brinkmann-Lektor H. P. Piwitt.

Wer die Gelegenheit hat hinzugehen, um eine von Florian Günthers furiosen Lesungen zu erleben, sollte dies tun. Andernfalls, und dies ist amtlich, ist demjenigen nur schwer zu helfen.

Im Songdog Verlag wurde dieses Frühjahr Günthers vergriffener Erstling «Taschenbillard» neu aufgelegt.

Ansonsten gilt noch immer, was ich im Blog vom 31. März 2010 «Mir kann keiner» geschrieben habe. Oder das was Piwitt in seinem Nachwort verlauten lässt: «

…Es sind Momentaufnahmen, oft Minutengedichte in der Sprache der «kleinen Leute» geschrieben, also kein «cool» und kein «supergeil», kein schielen nach Erfolg bei «Slam de Luxe» – und «Harbour-Front» – Veranstaltungen. Und doch sind sie fein, ja meisterlich gearbeitet…»

Man muss es nehmen, wie es kommt

Der eine hat Krebs/ der andere hat Löcher in den Socken, der nächste ist verliebt./ Bei mir kommt alles / zusammen. / Doch wenn alles gut / geht, sagen die Ärzte, / bin ich in gut drei Wochen / wieder auf den Beinen

Zu beziehen ist «Ausgemistet» im Peter Engstler Verlag: www.engstler-verlag.de

«Taschenbillard» bei Songdog www. songdog.at

Rauchende Köpfe

Als ich heute beim Kochen für die Kinder mal einen Blick auf die Zeitungsunterlage warf, entdeckte ich etwas. Als Mensch von Kultur, stopf ich meine nassen Schuhe nur mit der «Zeit» aus, und ebenso dienen mir die ausgelesenen Ex. als Müllsammelunterlage beim Kochen.

Es war ein Artikel (vor ein paar Wochen erschienen) über das in Bau befindliche «Arnold Schwarzenegger-Museum» in Thal, seiner Heimatstadt, nahe Graz. Eine geile, bronzene Skulptur gibt es schon. Sie zeigt Arnie beim Posen der Bizeps. Hervorragend. Da will sich ein bedeutungsarmes Städtchen in der Steiermark mit seinem berühmten Sohn schmücken, und hat sich in Unkosten gestürzt.

Ich könnte mir vorstellen, dass dort zur Zeit ein paar Köpfe rauchen.

Wie der Opernball

Gestern gab es im Wiener Rathaus den LIFE BALL, die Aids-Gala. Das Ding wurde natürlich im TV übertragen. Zumindest die Eröffnung. Ich hab mir die eine und die andere Minute angesehen, und fand’s erstaunlich, dass in dieser Stadt jeder Event, wenn man ihn nur lange genug wiederholt, am Schluss aussieht, wie der Opernball.

Sklaven

Ab 24 Grad Celsius ist meiner kleinen Tochter «brennheiß». Sie mag dann keine T-Shirts anziehen, sondern nur noch «Spaghettiträger-Leiberl». Davon gab’s keine passenden mehr, also ging ich mit ihr in den 10. Bezirk, der sozusagen gleich hinter unserer Haustür beginnt, und wir ackerten uns durch die Kärtnerstraße für Arme, die Favoritenstraße. Nach einer halben Stunde, nachdem wir schon bei H&M vergebens vorstellig geworden waren, zogen wir bei C&A ein. Runter, in den Keller. Mein Fleisch und Blut sagte: «Ich schau mich nur kurz mal um», und war weg. Da alle Kleiderständer größer waren als sie, hätte ich sie nie wieder gefunden, falls sie es drauf angelegt hätte. Da stand ich nun. Überall farbige Klamotten und Frauen mit Kopftüchern und Schuhen von Deichmann, halbwüchsige Mädchen, noch ohne Kopftuch, und der wuchtige, dicke Mann ohne Kind.

Ich ließ die Spaghettileiberl durch meine Finger gleiten. Schließlich bin ich als Ex-Textillaborant vom Fach. Auf dem Gewirke war noch 20% Rabatt. Zwei Leiberl für € 4.-. Das machte mich ratlos. Aber nur zum Schein. Ich tat so, als würde ich nicht verstehen, warum man für den Preis eines Mokka beim Anzengruber, zwei Leiberl kriegen konnte.

Die Klimaanlage versüßte mir den Aufenthalt, bis das Kind plötzlich, «wie aus dem Boden gewachsen», wieder vor mir stand. Ich tat, was zu tun war und kaufte. Die Kassiererin hatte sich blaue Strähnen in ihr Haar operieren lassen, und sprach deutsch.

Am Abend sah ich eine Doku, die mir wieder mal erklärte, was ich heute nicht zu Ende gedacht hatte. Ich sah die Arbeiterinnen in Bangladesh, die meiner Tochter die Leiberl zusammengenäht hatten, ich sah die Arbeiter in den Baumwollfeldern im Giftnebel der Schädlingbekämpfung, sah ihre Unterkünfte, ihre Kinder, die erloschenen Augen, und hörte, wie der Reporter die unerträgliche Hitze und Enge in den Fabriken schilderte. Sie verdienen 16 Euro/Monat.

Meine Kinder sahen es auch. Sie waren empört. Es war, als hätten die Leiberl nun einen hässlichen Fleck abgekriegt.

Als man Napoleon nach einer verlorenen Schlacht die Leichenberge auf dem Schlachtfeld zeigte, sagte er: «Eine einzige Pariser Nacht wird das wieder bevölkern.»

Der Mensch, ein unerschöpflicher Rohstoff.

Nicht im Drogen-, nicht im Waffen-, nicht im Rohstoffhandel liegt die Zukunft.

Sklaven.

Ich bin ein Hitlerversteher

Lars von Trier begründete in Cannes möglicherweise einen neuen Orden: Die Bruderschaft der Hitlerversteher.

Wir kennen alle die «Frauenversteher», ein Synonym für Coelho-Bücherverschenker, und jetzt kennen wir auch den ersten, bekennenden Hitlerversteher. «»Natürlich, er hat falsche Dinge getan», explizierte von Trier, «aber ich kann ihn auch sehen, wie er da am Ende in seinem Bunker hockt.»

Als man Saddam Hussein aus seinem Erdloch zog, wie einen verlausten Penner, den man ins Obdachlosenasyl zu bringen gedachte, da, so glaube ich, gab es auch eine Menge Saddam-Versteher. Und ich bin überzeugt, dass in Österreich der Konsum an Papiertaschentüchern kurzfristig anstieg, als Eichingers «Der Untergang» in den Kinos lief. (Nebenbei: Ein ziemlich mäßiges, und unfreiwillig komisches Filmchen.)

Nun, was lehrt uns das? Es lehrt uns, dass die Massenmörder Hitler und Hussein keine Monster, sondern Menschen waren. Und Menschen tun andern Menschen oft leid, wenn es ans Sterben geht oder wenn sie hilflos und arm und gedemütigt sind. Ich verstehe Hitler auch. Auch Saddam und Gaffafi. Und ich kann mich in bin Laden hineinfühlen, als die Seals in nächstens überraschten und den Mann, noch schlaftrunken, erschossen. Das gehört zum Job eines Autors, eines Künstlers. So what? Was ist daran abendfüllend? Nichts.

Dummes Gerede von einem dummen Menschen.

Aber ich bin mir sicher, dass der neue Film von Aki Kaurismäki, den bombastischen Streifen des Hitlerverstehers so problemlos schlagen wird, dass man ihm, wäre es ein richtiger Fight, den rechten Arm auf den Rücken binden müsste.

Wir wollen doch fair bleiben, oder?

Der Tunnel

Ich sehe mir täglich die Nachrichten an. Ich glaube, das sollte ich lieber nicht tun. Es ist besser, einfach nur am Schreibtisch zu sitzen und auf den Hinterhof zu blicken, mit dem Fernglas für 9 Franken 90, die Jets zu betrachten, die in geringer Höhe über ihn hinwegstreichen.

Weiter vorne, hinter einer grünen Blätterwand, sehe ich Teile des Supermarktfensters. Im dichter werdenden Geranke der Blätter gibt es noch eine kleine Lücke, und ich kann mit dem Fernglas sehen, was heute die Bananen kosten. 1,29. In den nächsten Tagen wird sich auch diese Lücke schließen, und mir bleiben nur noch die Jets. Das ist schade.

Wenn ich die Nachrichten sehe, denke ich nun oft an meine Mutter, die in den 60-er Jahren, während der Kuba-Krise, als Bob Dylan die Songs nur so in die Tasten flossen, einen Notvorrat anlegte. In zwei Kisten im Keller standen einige Flaschen Öl, Nudeln, Reis, Mehl und andere haltbare Lebensmittel. Sie wachte streng über diesen Notvorrat. Vielleicht führte sie sogar Buch über die Ablaufdaten. Gestern dachte ich daran, auch einen Notvorrat anzulegen, wie die reichen Zocker an der Börse. Schätze, ich bin nicht der einzige, den immer mehr das Gefühl beschleicht, dass niemand eine Idee hat, wie wir aus dem Dilemma rauskommen. Was immer wir auch tun um die Probleme mit Griechenland, den USA, dem nahen Osten, den AKW’s zu lösen, es ist falsch. Und die Politiker, die das erkannt haben, klopfen markige Sprüche, als müssten sie uns wie Entertainer unterhalten. Aber es geht unverändert weiter wie bisher. Es ist wie in der Story von Dürrenmatt «Der Tunnel». Ein Pendlerzug fährt ganz normal durch einen Tunnel. Aber an diesem Tag endet er nicht mehr. Der Zug nimmt Fahrt auf, bis er schließlich mit schwindelerregender Geschwindigkeit irgendetwas entgegen rast. Die Hauptfigur, ein Passagier, kämpft sich durch die in Panik geratenen Menschen zum Lokführer durch. Der erklärt ihm was los ist. Der Passagier fragt: «Was können wir tun?» Der Lokführer sagt: «Nichts.»

Eine schöne und tröstliche Geschichte.

Der Himmel ist so blau wie schon lange nicht mehr. Keine Wolke, nirgends. Selbst die Jets nehmen heute eine andere Route zum Flughafen. Ich höre irgendwo Handwerker rumoren, der Wind schiebt mir den Fensterflügel auf, und ich werde weiter am Roman schreiben.

In einer Schachtel, in der vorher Bücher waren, liegen ein paar Kilo Nudeln…