«Scheiß drauf!»

Franz Dobler verwandte sich in seinem überaus lesenswerten, aber leider sehr unregelmäßig geführten Block dafür, dass es eine Kulturbehörde geben müsse, die einen Finderlohn für im Netz gefundene «Spitzensätze» auslobe. Okay, aber diese Behörde sollte auch einen Preis für «Weise Worte von alten, dicken Männern» verleihen.

Gestern Nacht sah ich den Preisträger im TV. Seine Name ist Carlo Pedersoli. Er ist 81 Jahre alt und hat gerade seine Autobiographie herausgegeben. Ein bewegtes Leben, fürwahr. Ein italienischer Schwimmer, der in den Fünfzigern an Olympia teilnahm, ein Hüne und Beau, ein Modellathlet, ein Kerl. Inzwischen baumeln seine berühmt gewordenen Tränensäcke so dicht über den Mundwinkeln, dass er sie irrtümlich mit seinen geliebten «Spaghetti vongole» verschlucken könnte.

Carlo Pedersoli, den niemand unter diesem Namen kennt, aber unter seinem Alias «Bud Spencer» weltberühmt ist, gab der Sendung «TTT» ein Interview. Der Mann, der dem Autor dieser Zeilen in den siebziger Jahren endlich Gelegenheit verschaffte, mal so richtig unter seinem Niveau zu wiehern und sich wegzuschmeißen, der Dicksack, der in seinen Spitzenzeiten ein Double brauchte um aus einem Auto auszusteigen, verhalf mir, einem erbarmungswürdigen, an geistiger Phimose leidenden Hypochonder, der außer Bergmann, Fellini, Godard und Konsorten nichts gelten ließ, zu nassen Hosen im Kino («Vier Fäuste für ein Halleluja»). Jawoll, dieser Mann ist nicht nur groß und stark, sondern auch ein sehr brauchbarer Philosoph. Er steht in einer Reihe mit den großen Stoikern. Mit Mark Aurel, Zenon von Kition und dem Faustkämpfer Kleanthes, dem von Thom Jones in «Ruhender Faustkämpfer» gehuldigt wurde.

Perdersoli, nach seinem Lebensmotto gefragt, antwortete: «Scheiß drauf! Wie immer es auch kommen mag: Scheiß drauf!»

Er fügte bedauernd hinzu, dass leider zu wenige Menschen mit dieser Einstellung unterwegs sind, und wie wunderbar es wäre, wenn sich das ändern würde.

Darüber werde ich in meinem Yogakurs meditieren.

Auf seinem Grabstein steht (vielleicht): «Carlo Pedersoli 1930 – 20.. Er war Bud Spencer und hat darauf geschissen.»

Bravo, Carlo. Ti amo!

Schmach und Schande

Das Land Salzburg, vertreten durch die Frau Landeshauptmann Burgstaller (SPÖ), hatte Jean Ziegler als Redner zur Eröffnung der Salzburger Festspiele geladen. Und nun wieder ausgeladen. Er soll einen Literaturpreis von Gaddafi angenommen haben. Ziegler bezeichnet dies als Lüge und Gaddafi als «Psychopathen», vor dem die Welt geschützt gehört.

Nun, es wäre nicht uninteressant zu erfahren, wie viele der noblen Festspiel-Gäste schon um eine Audienz bei dem irren Camper aus Libyen angesucht, und deswegen beim Herrn Haider selig antichambriert haben, um vielleicht ein paar nette Waffen oder so, an den Schnurrbärtigen zu bringen. Aber hier will das niemand wissen. Und eigentlich hat bis vor drei Wochen auch noch niemand etwas von Herrn Gaddafi gehört. Vermutlich.

Es war äußerst fürsorglich von Frau Burgstaller Ziegler wieder auszuladen. Sie möchte ihn – wie sie betonte -, doch nur schützen. Das ist die SPÖ! Wie wir sie kennen und lieben. Sie schützt uns vor uns selber. Und ihre Gewerkschaften und Innungen schützen uns vor Gewerbefreiheit und billigen Handwerkern die ihren Job verstehen.

Die Schriftstellerin Elfriede Jelinek und ihre Kollegen Scharang und Turrini schrieben einen Protestbrief an die Ausladerin: «Wir empfehlen den Salzburger Festspielen, sich diesmal selbst auszuladen und den Festspielsommer mit der Schmach und der Schande zu verbringen, mit der sie sich überhäuft haben.»

Mir persönlich gefällt die Stelle wo: «…Schmach und Schande…» vorkommt. Angemessene Worte, biblischer Tonfall, Pathos. Schmach und Schande. Das ist irgendwie rührend. Als würde man einem herzigen Murmeltier zurufen, es soll sich nach dem Kacken den Arsch auswischen.

Schmach und Schande!

Um dies zu empfinden, müsste man doch Ehre und Scham haben?

Oder ist dies schon wieder ein Irrtum?

Irrtümer

Vor dem Secondhandladen, einen Steinwurf vom Geisteszentrum entfernt, stand heute morgen ein Bauarbeiter vor der Tür. Er rauchte und schien auf etwas zu warten. Vielleicht auf Zement, Steine, Werkzeug, den Kollegen oder den holden Feierabend.

Er war etwa so alt wie ich, und als ich ihn so dastehen sah, fiel mir wieder ein, wie oft auch ich so dagestanden hatte, in zementverkrusteten Klamotten, rauchend, wartend, verkatert, gelangweilt, gequält, pleite, voll von Gedanken an Flucht und Selbstmord, und ich dachte heute morgen: Oh Mann, das könntest du sein.

Und als ich das dachte, dachte ich ans Meer, und wie lange ich es schon nicht mehr gesehen, gerochen, gehört hatte. Und dann dachte ich, wenn ich an seiner Stelle wäre, könnte ich mir vermutlich einen Urlaub leisten. Jedes Jahr. Und er hat vielleicht ein kleines Häuschen im Hinterland der dalmatinischen Küste, ein Auto, und kann mit seiner Familie ans Meer fahren. Aber seine Kinder waren bestimmt schon erwachsen und haben selbst Kinder, und er würde den Enkeln beim Buddeln im Sand zusehen, und seine Frau würde sie mit Sonnenöl einreiben. Feine Sache. Zumindest dieser Aspekt.

Aber ich dachte auch daran, wie es gekommen war, dass ich nicht so ein Leben lebe. Und wie ich alles dran gesetzt habe, einem solchen Leben und Arbeiten zu entkommen, und wie viele Anläufe ich gebraucht habe, und wie schmerzlich und spannend es war, dem Trott zu entrinnen, den Chefs, den Firmenfesten, den stupiden Kollegen, die nichts als Muschis und Autos in der Marille haben, und Urlaub und Häuselbauen und Vorwärtskommen, und den Sprüchen von Haider und Co., und dem Hass auf alles Geistige, Intellektuelle.

Ich dachte daran, wie wir damals den «einfachen Mann» verehrten, das Volk, den Arbeiter, und sie uns verachteten und nur an den angestrebten Urlaub in der Südsee dachten, und nicht an die ausgebeuteten Kollegen überall auf der Welt. Das war schmerzhaft. Aber es machte heil. Es war ein ganz normaler Irrtum. Einer von vielen.

Heute bin ich elitär. Das ist der nächste Irrtum.