Süße Algorithmen

Einer wie ich, lebt in Wien dissident. Was das bedeuten soll? Er findet in keinem hier erhältlichen Periodika, keiner Buchhandlung, keinem CD-Laden den Stoff, den er für sein geistiges Überleben braucht. Ein Dissident sucht in der Buchhandlung gleich den Weg zur Bestellung, weil er weiß, die ham das nicht, die ham halt die Bestseller und die ham die heimische Bio-Literatur, aber die ham noch nie was von Nick Tosches gehört. Zum Beispiel.

Weil dem so ist, latscht der Dissident nicht mehr in örtliche Buchhandlungen, sondern er begibt sich gleich elektronisch zu Amazon.de oder sucht bei «booklooker.de». Und Amazon speichert die Suchanfragen, vergleicht sie mit anderen usw. und es entsteht ein Algorithmus, und dieses süße Kerlchen weiß, was den Dissidenten interessieren könnt. Und wahrlich, ich sage euch, das ist eine gute Sache, denn während in der Presse jeweils die drei gleichen Bücher 2 Wochen lang rauf und runtergeorgelt werden, Bücher, die einen interessieren wie ein Gespräch über Thomas Gottschalks neuestes Haarteil, so arbeitet der Algorithmus auf vollen Touren und macht mir brauchbare Vorschläge. So stieß ich auf z.B. auf den «Lumpenroman» von Roberto Bolano. Klasse.

Und wer die Algorithmen-Kiste weiterdenkt, kommt unweigerlich zum Schluss, dass hier die Arbeit des Schriftstellers neu erfunden wird. Der Algorithmus wird uns sagen, welches Thema, welcher Stil, welcher Umfang als nächstes dran sein wird, und der Autor wird sich hinsetzen und das Buch der Zukunft schreiben. Wer Glück hat wird einen Schriftsteller-Job an Land ziehen, und in Hinkunft in einem dieser Autoren-Großraumbüros sitzen und an den von Algorithmen berechneten Romanen arbeiten.

Ich gebe gerne zu, dass mir diese Vorstellung gefällt. Jedenfalls besser, als der Müller den man mir in den Wiener Buchhandlungen andrehen möchte.