Schande

Es gibt eine Stelle in der Autobiografie Arthur Köstlers «Als Zeuge der Zeit», die sich in mein Gedächtnis eingebrannt hat. Es sind die (beinahe) letzten Zeilen in diesem unerhörten Dokument Köstlers, dem ungarischen K. und K. Juden aus Wien, gegen dessen Erfahrungen und Leiden unser aller Leben wirkt, wie das von frisch rekrutierten Pimpfen.

Köstler beschreibt seine Errettung (1940) aus dem südfranzösischen Internierungslager Vernet. Er ist entkommen, er ist in Bayonne, als die Panzer der deutschen Wehrmacht über die staubigen, sonnendurchglühten Straßen rollen. Er schreibt: «Sie hatten mich von Berlin über Wien und Prag nach Paris gehetzt und dann weiter, die Atlantikküste entlang,bis sie mich hier,im äußersten Winkel Südfrankreichs endlich umzingelt hatten.» Dann beschreibt er einen jungen deutschen Soldaten der aus einem der Panzertürme schaut, mit «Augen, die mit dümmlichem Interesse die Kathedralen und Weinberge Frankreichs beglotzten… Ich konnte ihn nicht hassen,…aber ich wünschte mir ein Gewehr,um auf ihn zu schießen – nicht weil es mich gelüstete ihn zu töten, sondern weil ich selbst auf der Stelle erschossen werden wollte. Noch nie bisher hatte ich… die Terroristen… im letzten Krieg verstehen können, ihre sinnlosen Aktionen, den sicheren Tod vor Augen; jetz, da ich krank, zerlumpt und schmutzig in der Tür lehnte und dem Einzug der Sieger zusah, begriff ich plötzlich, dass ein Mann töten kann, um seine eigene schmerzliche Nacktheit zu verbergen.»

Manchmal drängt diese Stelle in mein Bewusstsein. Sie findet meine ungeteilte Zustimmung. Auch wenn ich nicht dieselbe oder gleiche Erfahrung gemacht habe, aber ich kann ihr folgen bis in die kleinste Regung. Dieses Gefühl der Scham, und der schmerzlichen Schande.

Es ist eine Schande, was zur Zeit in diesem Land geschieht.