Ich bin unbewohnt

Gestern geschah etwas sehr seltsames.
Ich bin deswegen zu meinem Arzt gegangen.
Der Auslöser war eine Aussage des sozialdemokratischen Schauspielers Erwin Steinhauer nach der Premiere eines Stücks über den berühmten und beliebten Wiener Volksschauspieler Hans Moser, das dessen ambivalente Haltung den Nazis gegenüber zum Thema hatte. Moser, so die Aussage, sei weder für noch gegen die Nazis gewesen. Und dann kam es:
«In uns allen wohnt ein Hans Moser!», sagte Steinhauer.

Ich erschrak. Ich horchte in mich hinein. Lange. Sollte der «Dienstmann» tatsächlich unbemerkt in mir Wohnung bezogen haben? Ich horchte und horchte. Hörte ich nicht das geraunzte: «Wie nemmern denn?»

Ich beschloss, der Sache auf den Grund zu gehen.
Mein Arzt war etwas verwundert, als er mein Anliegen erfuhr.
«Könnten Sie bitte mal nachschauen ob der Hans Moser in mir wohnt? Und wenn Sie schon dabei sind, dann sehen sich doch gleich nach, ob da nicht auch noch Gustav Gründgens, Paula Wesseley, Judas oder gar Hitler logieren? Man hört doch immer von kritischen Künstlern, dass diese Typen in uns wohnen sollen. Sehen Sie mal gründlich nach.»

Mein Arzt, ein junger, netter Mann, tat wie ihm geheißen und machte eine Reihe Tests. Bei einem musste ich sogar einen Kopfstand machen um zu eruieren, ob da vielleicht was rumpelte oder umfiel oder ob Hans Moser gar zu schimpfen anfing, weil im der Koffer auf den Fuß gefallen ist.
«Ich kann nichts finden», sagte mein Arzt. «Bei ihnen sind alle Wohnungen, falls es welche sind, noch leer.»
«Nicht mal Hitler?»
«Nicht mal der.»
«Göbbels auch nicht?»
«Keine Spur.»
«Vielleicht James Bond?»
«Na.»

Ich ging wieder nach Hause und drehte den Fernseher an. Da saß nun der Dichter des Dramas im Studio, der Hof-Kraut -und Heimatdichter Franzobel. Mit seinem Haarbüschel am Kinn sah er aus wie ein selbstzufriedener, satter Fernsehkoch. Er diskutierte gerade mit einem Jounalisten (dessen Name ich leider nicht erinnern kann). Der Dichter, der alle gefühlten Tage ein neues Drama krautflutete, vertrat die Ansicht, dass es künstlerische Freiheit bedeutet, wenn er den Moser sagen lässt, «dass er eh die Nazis wollte», obschon das in keinster Weise belegt war. Der Journalist war anderer Meinung. Ich eigentlich auch.
Aber mit Lappalien, wie historischer Wahrheit, hält sich auch ein Herr Röhler in seinem Film «Jud Süß» nicht auf, und macht aus der Frau des Jud Süß-Darstellers Marian einfach eine Jüdin. Das dient dann zur Herausarbeitung von Emotionen und dem Zuspitzen von Konflikten. Sowas lernt man in jeder «Kronenzeitungs-Journalistenschule».

Dann dachte ich darüber nach, warum wohl der Schauspieler Steinhauer gesagt hatte, dass Hans Moser in mir wohnt, obschon das nicht wahr ist. Es gibt eine Erklärung: Man nennt es auch Projektion. Der Mann schließt von sich auf andere.
Es gibt auch noch andere Erklärungen: Er hält uns für Deppen. Oder sich selber für ein Genie, dass den Deppen sagen muss, was sie empfinden und wer in ihnen wohnt. Möglich sind auch alle Gründe zusammen genommen.

Also, ihr Dramatiker, Autoren, Filmemacher und Zirkusclowns, hört her:
Ich bin unbewohnt.
Und ich möchte euch mit den legendären Worten des Jon Webb zurufen:
«Hört auf mich ins Ohr zu pimpern, Kollegen, fickt euch lieber ins Knie!»