Ich bin wertekonservativ! (Eine fröhliche, vorweihnachtliche Tautologie)

Manchmal denke ich an Christoph Schlingensief.
Wie mag es ihm gehen, frage ich mich? Man hört so verdächtig nichts. Gestern habe ich wieder was gehört. Er war im Wiener Akademietheater zugegen. Ich sah in der TV einen Ausschnitt seiner Show. Er ist mit seinem Buch unterwegs. Er hielt es hoch und sagte: «Das ist unwichtig.», und dann legte er es wieder auf den Tisch. Er möchte lieber erzählen.

Er redete über seine kraus und «afrikanisch» gewordenen Haare, die Metastasen in seinem verbliebenen Lungenflügel, wie die auf dem Röntgenschirm aussahen und auf wundersame Weise wieder verschwanden. Er redete. Er redete. Er redete. Very gutgelaunt.
Ab und an hörte man semi-schüchternes Gekicher aus dem Publikum. Als wüsste es nicht so recht, ob es sich denn ziemt, beim Vortrag eines Todkranken überhaupt zu lachen.

Schlingensief ist nun ganz das, was er schon immer war: Ein Prediger.
Ich kenne Prediger aus meiner frühesten Jugend. Ich gehe ihnen aus dem Weg. Schliengensiefs Mumm, mit Aktionen seine körperliche Unverehrtheit zu riskieren, verdient meine Anerkennung. Aber grundsätzlich traue ich keinem, der die Laube immer offen hat.

Dann sagte er: «Ich bin wertekonservativ!»
Gut. Das bin ich auch. Fast jeder, der die 40 übersteht, wird wertekonservativ. In jungen Jahren lehnt man mal alle überlieferten Werte ab, und überprüft jeden einzelnen von ihnen auf seine Tauglichkeit. Einige überleben die Prüfung, die anderen landen auf dem Müll. Das ist der Weg des Kriegers. Und der kann dauern.

Aber dann kam es. Er erzählte er uns in dürren Worten, was ihn trotzdem von der FDP trennt. Er nannte allen Ernstes die «FDP» als Beispiel für Wertkonservatismus!
Er sagte nicht Karel Woytila, Jörg Fauser, Henryk Broder, Mutter Theresa, Sibylle Berg, Charles Bukowski, nein, er sagte gut vernehmlich: «FDP».

Aber wir sind ja Deppen. Wir merken doch sowas nicht. Wir sind dämlich und dümmlich, dirrilich und düttelsaustrunzaberderhaldenbüttensepplblöd.
Die FDP? Ja, welche denn? Die des springenden Antisemitchens Möllemann? Hamm-Brücher? Genscher oder gar «Hier sprechen wir deutsch» Westerwelle?

Er hält uns für Idioten. Oder doch nur mich persönlich? Obschon wir uns überhaupt nicht kennen.
«Ich bin linksliberal, aber trotzdem unterscheide ich mich, wenn auch nur ein wenig, von Benedikt XVl.», sage ich, und füge diesen genialen Satz hinzu, das ewig währende, nie verglimmende Novum der katholischen Jazzmessen: «Jesus war der erste Sozialist!»
Ich meine, damit war, ist, und wird in Hinkuft alles gesagt sein.

Nun, wir wissen es: Die letzten Meter sind katholisch. Rimbaud ließ sich auf dem Sterbebett taufen, und auch Heine ließ den Priester rufen.
Ich fürchte, mir wird’s nicht anders ergehen. Aber zu Lebzeiten sollten wir unser Bestes geben. In Wort und Tat. Das ist ein Wert. Möglicherweise teilt den sogar Westerwelle.
Wertkonservativ ist eine Tautologie.
Denkt darüber nach, bevor es euch erwischt!
(Das ist auch eine Predigt. So sind wir eben…)

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