Im Innern der Siliziumbatterie von David Lynchs Hörgerät

Kleiner Nachbericht zu:

STYX
eine Fuge in Klaengen und Bildern fuer 4 Projektionen und 4 Lautsprechersysteme
Komposition, Akustische Inszenierung & Klangregie: Guenther Rabl

Fotografie & Projektion: Renate Porstendorfer

Franz Doblers Johnny Cash Biografie «The beast in me» beginnt mit einer Episode, in der uns der Autor die Begegnung mit einer Frau erzählt, die er, der Herr Autor, gerne etwas intensiver gestaltet hätte, die aber jäh zu einem Ende kam. Warum? Weil der Autor auf die Frage, welche Musik er sich so anhöre, mit : «Ziemlich viel Countrymusik» antwortete. «Ach, Gottchen», sagte die Frau.

Ich höre auch sehr viel Countrymusik. Folk und Songs. Songs und noch mehr Songs, und zur Abwechslung Songs.
Aber gestern Nacht nicht.
Was hätte die Frau aus der Cash-Biografie geantwortet, wenn der Autor ihr verkündet hätte: «Ich hör mir Günther Rabl an. Und, dazu sehe ich die Dias von Renate Porstendorfer. STYX, heißt das Teil, jawohl.»
Ach Gottchen, wohl nicht.

Rabl nennt seine Arbeit eine Fuge. Ich weiß nicht genau, was eine Fuge ist. Jedenfalls nicht im musikalischen Kontext. Bach und so. Ich kenne ein wenig die Gesetze von Songs. Ich weiß fast nichts über die Gesetze von Fugen. Ich weiß von vielen Dingen fast nichts. Aber besteht nicht der Genius der Musik darin, dass man als Konsument gar nichts zu können braucht? (Glaubt manch einer) Wer sich ein Buch reinziehen will, muss zumindest lesen können. Aber für Musik reichen ein paar halbwegs intakte Gehörgänge.
Und was Rabl einem da hineintut, in diese Gänge, ist von der Art, dass man als alter Hippiesack weiß, dass er damit in den Siebzigern reich geworden wäre. Zu recht. Und Renate Porstendorfer auch. Draußen vor den Toren des Veranstaltungsgebäudes hätten sich Kohorten haschischrauchender Freaks niedergelassen, Verzückte auf LSD und Meskalin, die auf Einlass harren.
Trips. Explosionen in Zinnober. Unedliche Glücksgefühle. Die offenen Münder von Teilzeit-Idioten. Nicht mehr staunend, sondern nur noch glückselig fassungslos.
Aber LSD und Meskalin waren die Mitgift der Götter an die Unschuld. Verprasst und durchgebracht. Die Tore vernagelt. Dahinter ein gähnender Abgrund.

Aber ich sass dann da, halbwegs nüchtern, und hörte und sah. Was hörte und sah ich? Ich wusste es nicht. Ich strengte mich an, dahinter zukommen. Aber hinter was?
Nach 5 Minuten stand fest, dass ich nicht mal mehr wusste, wo ich war. Das schmeckte mir nicht. So ohne LSD. Ich will wissen, wo ich gerade bin.
Gut. Ich hörte und sah.
War das nicht der Schrei eines Blattes, das der Wind vom Aste riss? Und hier das Blubbern von gärenden Pilzen am Rande eines Morasts? Hörten wir nicht gerade das tausenfach verstärkte Seufzen einer Sicherheitsnadel beim Zuschließen? Und waren die großen Dias nicht Mikro-Aufnahmen vom aufgesprungenen Lack einer Lippenstiftverschlusskappe aus Lynchs Film «Mulholland Drive»?

In meinem Gehirn tat es tun, wie man im Berner Oberland sagt. Ich bin Schriftsteller. Semi-trockener Wortalkoholiker. Und dieser musste was unternehmen. Tat er auch. Er nahm mich bei der Hand und flüsterte mir ins Ohr: «Fürchte dich nicht. Wir sind im Innern der Siliziumbatterie von David Lynchs Hörgerät. Was du hörst ist nur das wundersame Stöhnen, Ächzen, Juchzen, Gluckern und Blubbern der Atome. Das «Make Love, not war» der hüpfenden Elektronen auf ihren Bahnen des leuchtenden Nichts in den Reflexionen eines letzten Schlucks Wein. Das Kreisen der Kreise und das selbstvergessene Knirschen des Knirschens. Hör zu, mein Lieber, hör zu, du oller Countryfan.»

Mitten drin wünschte ich mir, dass zwei Boxer auftauchen würden, sich einen sekundenschnellen Schlagabtausch lieferten, um sich daraufhin in Luft aufzulösen. Sie kamen nicht. Na klar, kamen sie nicht. In der Oper «Aida» schwebt auch nicht der Geist Johnny Cash’s auf die Bühne und zeigt uns allen seinen jüngst gehäkelten Topflappen.

Als es vorbei war, und wieder das Licht im wunderbaren Kuppelsaal der Technischen Uni Wien, anging, hatte ich das Gefühl, das alle irgendwie glücklich waren, und der eine oder die andere sich fragte, wo er/sie gerade gewesen war.
Aber vielleicht war das allen anderen vollkommen klar, denn so viele Countryfans gab es vermutlich nicht in diesem Publikum.
Und die «Ach Gottchen-Lady», war auch nicht zu sehen. Vermutlich war sie schon früher gegangen, weil der Babysitter nur bis 21 Uhr konnte.